Das Kompositum Industriekultur wirkt auf den ersten Blick wie ein Missverständnis, denkt man rauchende Schornsteine, Abraumlandschaften und versiegelte Fabrikflächen doch traditionell nur selten in ästhetischen Kategorien. In den letzten Jahren lässt sich hier allerdings ein Wandel beobachten: kulturpolitische Akteure auf kommunaler, regionaler und europäischer Ebene entdecken das industriekulturelle Erbe als identitäre Ressource und betreiben dessen Musealisierung und denkmalpflegerische Aneignung, die ruderalen Texturen der Post-Moderne und des Postsozialismus werden literarisch und filmisch inszeniert, Arbeitersiedlungen und kollektive Arbeitsformen im kollektiven Gedächtnis nostalgisch verklärt und als Alternative zur neoliberalen Transformation der 1970er-1990er wieder entdeckt. Das Seminar widmet sich diesen und weiteren Prozessen am Beispiel der historisch gewachsenen Industriekultur im Dreiländereck zwischen Tschechien, Polen und der Slowakei und ihren „Hauptstädten“ Ostrava, Katowice und Žilina. Es eröffnet einen historischen Blick auf die verschiedenen Epochen industrieller Entwicklung (v.a. Habsburgerreich, Zwischenkriegszeit, Sozialismus, Postsozialismus), auf kulturelle Phänomene wie Architektur, Industriefotografie und Produktionsromane sowie auf gegenwärtige Debatten in den Bereichen Ökologie, Tourismus und Denkmalpflege. Der Kurs ist interdisziplinär ausgerichtet und wird auch soziologische, ökonomische und politische Fragen berücksichtigen. Er wird als Blockseminar angeboten (vier Termine a sechs Stunden) und beinhaltet eine ca. einwöchige Exkursion in die Region, voraussichtlich in der zweiten Julihälfte. Weitere Informationen zur terminlichen Planung und zur Finanzierung der Exkursion folgen zu Semesterbeginn 

Mitarbeit und Teilnahme in den Seminarsitzungen und, wenn möglich, auch an der Exkursion. Übernahme von Kurzreferaten auf der Exkursion, kleinere Arbeitsaufträge im Rahmen der Blocksitzungen

Lutz Raphael: Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin 2019.
Julia Kubin: Ruderale Texturen: Verfall und Überwucherung in (post-)sozialistischen Erzählungen, Bielefeld 2021.