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Projekt

Forschungsprojekt "Reinventing Eastern Europe"

Was ist Osteuropa – und wo liegt es? Mit dieser – scheinbar einfachen – Fragestellung setzten sich die Studierenden des Masterstudiengangs Osteuropastudien in einem zweisemestrigen Projektkurs im Studienjahr 2006/07 am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin auseinander.

Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der sozialistischen Systeme in den osteuropäischen Staaten, die die profilierte Ost-West Dichotomie ins Wanken brachte, ist ‚Osteuropa’ wieder neu in Bewegung geraten. Einerseits scheint es, als würden die imaginierten und realen Differenzen im Prozess der europäischen Integration allmählich obsolet. Anderseits avancieren altbekannte Stereotypen zu kulturellem Kapital, das zur Konjunktur des Interesses am Osten beiträgt. In der neueren Forschung ist Osteuropa wiederholt als Konstrukt beschrieben worden, mit dem sich (West)Europa seit der Aufklärung sein kulturelles Gegenstück schuf, um sich der eigenen Identität zu versichern. Diese Projektionen sind ihrerseits in unterschiedlichen Aneignungen zum Bestandteil osteuropäischer Selbstwahrnehmung geworden. Im Anschluss an diese Forschungsdiskussion verfolgte der Projektkurs das Ziel, in einem interdisziplinären Zugang Brüche und Kontinuitäten in den aktuellen Konzeptualisierungen Osteuropas herauszuarbeiten und nach ihren Auswirkungen auf aktuelle Lebensrealitäten zu fragen.

Entstanden sind schließlich sechs eigenständig erarbeitete und abgeschlossene studentische Projekte, deren Ergebnisse auf den folgenden Seiten präsentiert werden. Die Bandbreite der von den Studierenden erarbeiteten Themen und Fragestellungen, spiegeln neben den einzelnen Disziplinen Wirtschaft, Recht, Soziologie, Geschichte und Kultur auch die multinationale Zusammensetzung der einzelnen Arbeitsgruppen wider, die im Ergebnis neue und überraschende Perspektiven und Einsichten vermitteln. So beschäftigen sich zwei Projekte vornehmlich mit dem Alltag und der Lebenswirklichkeit von Osteuropäern und Osteuropäerinnen.

Dies ist zum einen der „Reiseführer durch das ‚polnische Berlin’“, der am Beispiel Berlins der Frage nachgeht, inwieweit ‚Osteuropa’ in ‚Westeuropa’ fremd ist und ob dies eine adäquate Kategorie darstellt, die für den alltäglichen Lebenszusammenhang eine Rolle spielt. Die konkrete Lebenswirklichkeit der in Mazedonien und Moldau lebenden Bevölkerung untersucht das Projekt „Mazedonien und die Republik Moldau auf dem Weg in die EU“, wobei im Mittelpunkt die Frage nach dem Selbstverständnis und der Zugehörigkeit zu (West)Europa in Gestalt der Europäischen Union steht. Dagegen analysierte ein weiteres Projekt den Zusammenhang von Lebenswirklichkeit und stereotypen Zuschreibungen sowie Fragen der Selbst- und Fremdwahrnehmung unter dem Titel „Reinventing Eastern European Women“.

Auf einer stärker diskursiv argumentierenden Ebene versuchten drei weitere Gruppen, die Relevanz der Idee Osteuropas neu zu bestimmen. Ausgehend von der These, dass die Roma in den osteuropäischen Staaten, das Andere konstituieren und als das Fremde gedacht werden, analysiert das Roma-Projekt einen innerosteuropäischen Diskurs, der – ähnlich dem Osteuropa-Begriff in Westeuropa – als Abgrenzungsdiskurs funktioniert und sich den Erfordernissen des Transformationsprozesses entsprechend wandelt.