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Monografisches Projekt Straetling

Gegenstand der Monografie ist die Rolle der Hand in Theorien und Praktiken des Deiktischen in Prozessen des Vor-Augen-Stellens, des Vorführens, des Hinlenkens, des Verweisens, des Demonstrierens, aber auch des Manufakturellen und des Taktilen in den Blick zu nehmen. Ein solcher Ansatz lokalisiert das künstlerische Zeichen, das die Hand gibt, auf der Schwelle von körperlicher Handgreiflichkeit und abstrahierender symbolischer Handlung. Und erst aus dieser Perspektive werden symbolische Techniken als materielle und leibliche Praktiken der performativen Handhabung ebenso begreifbar, wie operationale Verfahren sich im Lichte ihrer bedeutungszeugenden Strategien zeigen. Drei argumentative Bögen sollen historisch nachvollzogen und analytisch aufgearbeitet werden:

1. Der performative Diskurs: Im Bild der Hand konkurrieren und überschneiden sich die Bilder des Künstlers als homo significans und als homo faber. In dieser Schnittmenge, die historisch vielfach als Ausschlussmenge gedacht wurde, sind die Bereiche zu erschließen, in denen ästhetische Objekte dezidiert als geformte, gemachte Artefakte in Erscheinung treten, in denen der Schaffensprozess als performative Poiesis ausformuliert ist und in denen über die Profilierung der Hand als Medium der Manipulation das Kunstwerk aus der Sphäre des Ästhetischen hineinragt in Bereiche des Instrumentellen und Technologischen. Die Materialbasis dieses Strangs bewegt sich primär in der Avantgarde, wird jedoch in antezedente Epochen ausreifen. So wird beispielsweise das avantgardistische Selbstbewusstsein, ästhetische Praktiken als manuelle Manipulationen zu begreifen, auf barocke Präfigurationen zurückgegriffen werden. Barocken Rückbezüge konstruktivistischen Skizzen zeigen sich beispielsweise in den theatra machinarum. Eine ähnliche epochale Affinität lässt sich für den literarischen Text als Objekt der Manipulation beobachten. Hier lassen sich Interferenzen von der Ebene der materiellen Behandlung von Schrifterzeugnissen über den operativen Umgang mit der Schrift in spezifischen medialen Konstellationen bis zu einer manuellen Bildsprache beobachten, die den Text über eine Rhetorik des Manufakturellen an die Schnittstelle von Sichtbarkeit und Tastbarkeit rückt. Velimir Chlebnikovs programmatische Konzeption einer Buchstabengestalt, die „tastbar für die Hand des Blinden sein soll“, sind hier ebenso zu berücksichtigen wie die poetologischen Konzeptualisierungen der Hand als Denkwerkzeug im Akmeismus (vgl. z.B. Mandel’štams „mysljaš?aja ruka“).

2. Der ästhetische Diskurs: Bis in die Avantgarde hinein ist die Geschichte der Künste eine Geschichte der Konkurrenzen zwischen Handlosigkeit und Handgemachtheit. In dieser wechselseitigen Abgrenzungs- und Usurpationsgeschichte von Manufakt, Artefakt und Technofakt spiegelt sich eine Auseinandersetzung, die bis in die ontologischen Begründungen des Objektes hineinragt: die Frage nach (göttlicher) Selbstoffenbarung und nach (menschlicher) Gemachtheit, nach Epiphanie und Erzeugung., nach Autogenese und Heterogenese. Das beginnt mit der Kultbildlichkeit der acheiropoieta, der nicht von Menschenhand gemachten Abbilder des Göttlichen, und setzt sich fort bis in die Automatisierung der Künste in Fotografie, Film und Computer, welche die Hand maximal noch als verlängerten Auslöser einsetzen. Der argumentative Schwerpunkt dieses Strangs der Arbeit liegt auf drei Diskursen: 1. der Diskussion um die frühe Daguerreotypie und Kalotypie als moderne Formen autopoietischer Kunst, in der Bilder scheinbar selbsttätig aus sich heraus erscheinen und sichtbar werden; 2. der spiritistischen Debatte des 19. Jahrhunderts um die Übertragung der Selbstmalens der Bilder in die Schrift, d.h. die Frage nach selbstgeschriebenen Schriften, die allenthalben auf Séancen das Immeraterielle materialisieren; 3. der Zusammenführung beider vorangehender Problemfelder der höchst augenfälligen Vorliebe, Schriftstellerportraits als Fotografie schreibender Hände zu gestalten. In diesen chironomischen Hand-Portraits verschränken sich Lesbarkeit und Sichtbarkeit als zwei konkurrierende wie einander komplementierende Modi des Zeigens (mit) der Hand.

3. Der wahrnehmungstheoretische Diskurs: In der Geschichte der Sinneshierarchie sind beständig das Auge als Fernsinn und die Hand als Nahsinn gegeneinander angetreten. Fast kontinuierlich wurde dem „Adel des Sehens“ (Hans Jonas) dabei die privilegierte Position zugeschrieben, während der ‚proletarischen’ Hand nur eine sekundäre Rolle zukam. In den letzten Jahren sind hier erste Bausteine für eine Geschichte, die sich gegen diese optische Privilegierung richtet entstanden: Peter Bextes „Blinde Seher oder die von Ulrike Zeuch konstatierte „Umkehr der Sinneshierarchie“ bei Herder verfolgen die blinden Flecke des Optozentrismus und ein konkurrierendes Paradigma der Berührungsemphase. Die Monografie will diese Ansätze in folgende Richtungen weiterdenken: 1. Im Hinblick auf eine Ästhetik des Kontagiösen; 2. Im Hinblick auf symbolische Hybride von (Körper)Kontakt und visueller Dechiffrierung (z.B. den Index, die Spur, den Abdruck u.ä.); 3. Im Hinblick auf den Nexus von Manipulation und Simulation (vgl. z.B. das opto-haptische Phänomen der Datenhandschuhe).