Sabine Hänsgen: "Poetry & Performance.Textpraktiken in der osteuropäischen Konzeptkunst"
Kollektive Aktionen (Kollektivnye dejstvija): "Losung" ("lozung") 1977
Bildquelle: http://conceptualism.letov.ru/
Während die Performance in Westeuropa und Nordamerika als Reaktion auf die spätkapitalistische Warenkultur mit einem Überfluss an materiellen Dingen verstanden werden kann, bedeutet die Performance in den osteuropäischen Kulturen vor allem eine Auseinandersetzung mit der politisch-ideologischen Kultur als einer Kultur der Texte, Manifeste, Instruktionen und Losungen, die einen Überfluss von Texten hervorgebracht hat.
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellen sich insbesondere Dichter:innen und Künstler:innen der Herausforderung, die allgegenwärtigen politisch-ideologischen "Vorschriften" zu reflektieren und zu erforschen. Sie tun dies mit ästhetischen Mitteln, indem sie die materielle und mediale Dimension der Sprache ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken und für sich und ihr Publikum performative Situationen schaffen, in denen Möglichkeiten alternativer sprachlicher Äußerung erprobt, durchgespielt und ausagiert werden.
Die Wechselbeziehung zwischen Text und Situation in poetischen Schreib- und Lese-Akten hat – so eine Hypothese des Projekts – wesentlich zur Entwicklung des Genres der Performancekunst in Osteuropa beigetragen.
In ihrem Vortrag wird Sabine Hänsgen konzeptuelle Textpraktiken und deren Darstellungsformen in der Ausstellung „Poetry & Performance. Die osteuropäische Perspektive“ zur Diskussion stellen. Künstlerische Positionen aus dem Moskauer Konzeptualismus (Kollektive Aktionen, Andrej Monastyrskij, Dmitrij Prigov, Lev Rubinstein) werden im Vergleich zu Positionen aus Jugoslawien (Tomislav Gotovac, Vlado Martek, Mladen Stilinović), Polen (Ewa Partum, Orange Alternative), Ungarn (Katalin Ladik, Tamás Szentjóby) und der Tschechoslowakei (Ľubomír Ďurček, Jiří Valoch) betrachtet.
Die verdichtete Form von Poesie & Performance gewinnt im aktuellen Kontext erneut eine besondere politische Brisanz, da in dieser kleinen und flexiblen Gattung Zusammenhänge behandelt werden können, die ansonsten unbesprochen blieben.
Der Vortrag findet online via Webex im Rahmen des Seminars "Graphomanie" statt.