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Die Natur der Katastrophe

Nikolaj Dubovskoj, Pritichlo, 1890

Nikolaj Dubovskoj, Pritichlo, 1890
Bildquelle: Russisches Staatsmuseum, Sankt Petersburg

Clemens Günther (Habilitationsprojekt)

Das Projekt untersucht am Beispiel von Gewittern, Dürren, Fluten und Epidemien Poetiken der Naturkatastrophe in der Literatur des russischen Realismus. Die Frage, wie und ob das Katastrophische erzählt werden kann, wurde seit dem Ende der Romantik zum Movens für die Entwicklung neuer Poetiken des Wissens. In engem Austausch mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aus Meteorologie, Bodenkunde, Klimatologie und Epidemiologie entwickelten Autoren neue Formen der Repräsentation der Natur, die nun immer mehr ins Blickfeld der Literatur rückte. Die Katastrophe wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer weit verbreiteten Trope, mit Hilfe derer sich Realität neu beschreiben ließ und gleichzeitig ein Deutungsmuster für künftige Ereignisse etabliert wurde, was sich insbesondere in der Schilderung der Oktoberrevolution niederschlägt. Es soll gezeigt werden, dass bereits im russischen Realismus ein Katastrophenbewusstsein entsteht, das einerseits in der Antizipation ökologischer Bedrohungen aktuelle Positionen vorwegnimmt, andererseits aber auch ein Spektrum von Interpretationen und Kausalitäten der Katastrophe entwirft, das diese in seiner Breite übertrifft. Katastrophen werden dabei zum Katalysator unterschiedlicher literarischer Ökologien, die mit der Herausbildung neuer Stilbegriffe korrelieren.