Die Implosion der Sowjetunion bedeutete nicht nur den Untergang eines totalitären, sondern auch auf pseudoreligiöse Weise literaturzentrierten Imperiums. Neben den komplex strukturierten Zensurinstanzen befand dabei ein zweiter gewaltiger Apparat über Glaubenstreue oder Anathema: die Literaturkritik, „der Politik zweiter Name", wie die Maßgabe spätestens seit 1929 auch offiziell lautete. Ihre publizistische Präsenz jedoch bildete nur die sichtbare Facette eines Wirkens, das über interne Rezensionen, Gutachten und informelle Kontakte ein weit verzweigtes Aderwerk bildete. Die seit Jahren als kritische Beobachterin aktueller literaturpolitischer Prozesse ausgewiesene Slavistin Birgit Menzel setzt nun in ihrer Habilitationsschrift zu einer grundlegenden Darstellung der russischen Literaturkritik in der Transformationsphase der 1980er und 1990er Jahre an. Auf der Basis eines funktionsorientierten strukturalistischen Modells definiert die Autorin literaturkritische Äußerungen als Handlungen „im Rahmen eines im weiteren Sinne gesellschaftlichen Kommunikationssystems“.
Quelle: Goldt, Rainer. (2002). Menzel, Birgit. Bürgerkrieg um Worte. Die russische Literaturkritik der Perestrojka. (Rezension). Osteuropa, 52(8), 1118-1119.