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Abstracts der Vorträge

Barbara Beyer (Leipzig)

Das Eigene im Universalen: Die ‚bulgarischen Widmungsgedichte’ in Trajanovs Pantheon

Als poetische Konstruktion einer universalen „Synthese des Gedankens“ will Trajanovs Pantheon erklärtermaßen „westlichen Erbauergeist“ und „magisches slavisches Genie“ vereinen. Mit Blick auf das slavische Element und dessen Beitrag zur neuen „universalen syn­the­tischen Persönlichkeit“ lässt sich dabei von einer messianistisch-apologetischen Repräsentationsstrategie sprechen; in besonderem Maße tritt diese bei den Widmungsgedichten auf Vertreter des heimischen bulgarischen Literaturkontextes (P.K. Javorov, I. Vazov, P.P. Slavejkov, D. Debeljanov, I. Ivanov-Čeren, Ch. Botev in namentlicher Nennung) zutage, die den Hauptteil des slavischen Parts ausmachen und auch insgesamt die Sammlung quantitativ mit dominieren.

Die Auswahl, inklusive der für eine Fortsetzung genannten Namen, zeugt kaum von poetologischen Präferenzen Trajanovs, sie soll weder Werden noch Beschaffenheit der bulgarischen Literaturlandschaft kennzeichnen, auch die Würdigung künstlerischer Meisterschaft ist kein durchgängiger Impuls. Zwar findet der poetische ‚Dialog’ mit der jeweiligen Dichterindividualität im Text seinen (wieder-)erkennbar porträtierenden Niederschlag, doch prinzipiell fokussieren auch die ‚bulgarischen Widmungsgedichte’ paradigmatisch die schöpferische Persönlichkeit als solche, geht es um die Einstellung zu Leben und Schicksal, um den suchenden und gestaltenden Geist an sich. Die in metaphysischer Dimension begriffene Beziehung Individuum – Kollektives – allgemein Menschliches / Universales steigert sich zu einer schon enthistorisiert und ‚entnationalisiert’ wirkenden, sublimierenden Abstraktion, wie sie Trajanovs Pantheon insgesamt prägt.

Dennoch erweist sich das bulgarische Eigene nicht gänzlich ohne sinnstiftenden Geltungsanspruch, im Gegenteil. Es realisiert sich im Einzeltext auch über heimatliches (vaterländisches) Bildrequisit, insbesondere aber über die grundsätzliche Anrufung von Dichternamen, die mit einem gewissen national relevanten Mythenpotenzial ausgestattet oder doch zu­mindest analog instrumentalisierbar sind. Der Dichter erscheint aufgrund der Verbindung mit dem kollektiven (nationalen) Wesen und Sein als dessen mentaler Kristallisationspunkt, in seinem Schicksal spiegelt sich Gemeinschaftliches. Die semantische Korreliertheit der entworfenen Figuren mit Merkmalen wie tragisch, heroisch, unbeugsam, aufrührerisch, auserwählt oder das affirmative (odische, elegische, balladeske) Pathos erstrecken sich so auch auf einen Kollektivträger des Eigenen, visieren ‚bulgarischen Geist’ an.

Die ‚bulgarischen Widmungsgedichte’ sind organisch innerhalb der universalistischen Konzeption von Pantheon verankert, ohne speziellere repräsentative Zusatzfunktionen des einzelnen Gedichttextes; als Textkorpus jedoch zeigen sie eine Tendenz zu messianistisch-apologetischer Überhöhung nicht nur des individuellen, sondern gerade auch des kollektiven (nationalen) Subjekts. Ein solcher Entwurf des schöpferischen Eigenen als Beitrag zur „universalen synthetischen Persönlichkeit“ lässt sehr wohl die Perzeption der europäischen Kulturantinomie Ost-West erkennen, die in Trajanovs Schlusswort zu Pantheon als zentrales Motiv begegnet. Ebenso aber darf hierin ein Reflex auf das überkommene nationalkulturelle Peripheriesyndrom gesehen werden, welches auch in der ambivalenten Selbstverortung der bulgarischen Moderne im europäischen Kulturkontext aufscheint.

 

Dagmar Burkhart (Mannheim/Hamburg)

Zwei Dichterinnen der europäischen Moderne: Elizaveta Bagrjana und Anna Achmatova im Vergleich

Wie Desanka Maksimović in Serbien, versuchte Elizaveta Bagrjana die vier Jahre ältere russische Lyrikerin Anna Achmatova (1889-1966) durch Übersetzungen (v.a. im „Vestnik na ženata“) in Bulgarien bekannt zu machen. Dass sie dadurch unter den Einfluss der den Akmeisten zugehörigen Achmatova geriet, ist ein belegbares Faktum – genau so wie sie vorher den französischen und bulgarischen Symbolisten nahe gestanden hatte.

Spätestens im Laufe der 1920er Jahre entwickelte Elizaveta Bagrjana einen eigenen, extrovertiert vitalistischen und optimistischen Lyrikstil, der sich von dem zunächst intimen, ironisierenden, dann zunehmend introvertierten, immer mehr von den Themen Tod, Trauer und Vanitas bestimmten Ton der lyrischen Texte und Poeme Anna Achmatovas deutlich abhob.

 

Bisera Dakova (Sofia)

Teodor Trajanov und Pejo Jaworov – zwischen Rivalität und Identität oder über die problematischen Grenzen des bulgarischen Symbolismus

Eines der Ziele dieses Beitrages wäre, von der berüchtigten Debatte über den Urheber des bulgarischen Symbolismus zu flüchten. D. h. die Entwicklung der beiden Dichter in der Periode 1905–1909 als äußerst parallel vorzustellen, und nicht nur die evidenten Querpunkte in dieser Parallelität zu erblicken, sondern auch die gegenseitigen Verweise, die unleugbaren Ähnlichkeiten in ihrem Schaffen hervorzuheben.

1.      Im Rahmen der lyrischen Ganzheit

P. Jaworov verfolgt eifrig die Leistungen des jungen Trajanovs. Sein Gefühl für die Position eines Werkes im Kontext der lyrischen Ganzheit ist viel verschärfter. Jaworov „entlehnt“ die Idee T. Trajanovs über die erschütternd-heitere Pointe des trüben lyrischen Zyklus, über die kontrapunktuelle Wirkung der unerwarteten Verklärung. Wenn das Trajanovsche Gedicht „Нов ден“ (1905) einen künstlerischen Wert gewonnen hat, so ergibt sich dieser Wert aus der Gegenüberstellung den orgiastisch-zügellosen Visionen. Bei Jaworov ist das analogisch heitere Gedicht „Ще дойдеш ти“ (1905) als parodistisch-ironischer Kontrapunkt der dekadenten Welt und Poesie im Buch „Безсъници“ (1907) übertragen worden. So wird der unwillkürliche Kontrapunkt Trajanovs zum semantisch produktiven Grenzpunkt im Schaffen Jaworovs. Jaworov ist nämlich der erste von den beiden Autoren, der seinem „täglichen“ Werk eine durchaus wichtige Dimension verliehen hat, indem er bedeutungsvolle poetologischen Kontexte aufgeschlossen hat.

Viel später wird T. Trajanov bewusst, was für eine außerordentliche Rolle sein Gedicht „Нов ден“ in der Geschichte des bulgarischen Modernismus gespielt hatte. Und gerade deswegen eröffnet dieser Text sein anthologisches Buch „Освободеният човек“ (1929). Erst am Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hat Trajanov das Gedicht als Emblem seines Schaffens  abgesondert, aufgefasst und aufgewertet.

2.      Das Umgehen mit der Dekadenz

Von den Forschern Trajanovs wird immer wieder übersehen, inwiefern dieser Autor die dekadenten Züge seines Schaffens konsequent getilgt hatte. Er verwechselt eigentlich sein dichterisches Wesen, indem er es beständig überwindet. Aus den frühen lyrischen Fragmenten versucht der Dichter ein vollendetes Weltbild zusammenzusetzen, d.h. er versucht die einzelnen Teile in einer ideologischen und stilistischen Einheit zu befestigen. Paradoxalerweise strebt Trajanov dabei nach einer emotionell „trockenen“ Rhetorik, nach der Verschmelzung seiner gegenüberstehenden poetischen „Schriften“ (Roland Barthes).

Im Schaffen Jaworovs ist die umgekehrte Tendenz ersichtlich: in seiner Anthologie „Подир сенките на облаците“ (1910) fragmentiert, verteilt er seine einheitliche lyrische Welt in gegenübergestellte, unversöhnliche, unverträgliche Bestandteile, d.b. er „erzeugt“ entschieden den endgültigen Effekt seiner Dekadenz. Und wenn auch Jaworov zur Rhetorik greift, so ist bei ihm ein solches Verfahren tief durchdacht. Weil Jaworovs Rhetorik immer wieder als ein hinreißendes, unwiderstehliches Spiel erlebt wurde.

3.      Die identischen Bücher

Trotz des Riesenunterschiedes haben die beiden Autoren zwei Bücher mit übereinstimmenden Intentionen verfasst: „Безсъници“ (1907) und  „Химни и балади“ (1912). Die beiden Bücher sind durch ihre ausdrückliche Übergangsposition im dichterischen Weg seiner Autoren geprägt: darin kann man die feste Verbundenheit, aber auch die gegenseitige Widerlegung verschiedener Poetiken nachvollziehen. Die beiden Bücher, im Abstand von fünf Jahren erschienen, bieten einen kategorisch hingedeuteten Ausweg aus dem individualistischen Paradigma: die endgültige Erlösung vom Gefängnis des Subjekts („Безсъници“ von Jaworov) und der siegreiche, befreiende Einmarsch der Barbaren („Химни и балади“ von Trajanov). Das erhöht beträchtlich ihren Wert: sie sind nicht nur Bücher des Überganges und der poetologischen Transformation, sie fungieren auch als markante ideologische Konstrukte.

4.      Die Lebensphilosophie

Noch ein bedeutender Berührungspunkt zwischen T. Trajanov und P. Jaworov ist der bisherigen Forschung entgangen, und zwar, die Einleitung des Frühlings als Sinnbild für Vitalität und Erneuerung, als eine zusammenfassende Gestalt für die mächtigen Instinkte, für die Urkräfte des Lebens. Bei T. Trajanov, trotz seiner tragischen Weltanschauung, erweist sich der Frühling unentwegt als Allegorie des sich bestätigenden Lebens (natürlich, stark von der Dichtung Richard Dehmels, der Philosophie Nietzsches, der deutschen Jugendstillyrik beeinflusst). 

Bei den Gedichten Jaworovs „Да славим пролетта“ (1907) und „Молете неуморно“  (1908) handelt es sich wieder um eine beabsichtigte Entlehnung. Das ermöglicht sogar, in diesem Fall über eine spürbare Wirkung Trajanovs zu sprechen, wenn wir von ihrem gezwungen-trockenen, hymnischen Pathos ausgehen. Also, Jaworov erprobt wieder etwas Unbekanntes, er strebt wieder danach, die fremde poetische Stimme, Intoniertheit,  Ideenwelt unnachahmlich auszusagen.

5.      Parnasismus und Untergang

Was die parnasistische Stilisierung betrifft, d.h. die ausführliche Wiedergabe einer verfeinerten Untergangsatmosphäre mit allen jeweiligen Details, ist wieder T. Trajanov die führende Figur in der bulgarischen Poesie mit dem Poem „Сянката на Salome“ (1907). Die Gestalt der begehrenden Frau, welche verurteilt ist, in der Vereinsamung ihrer Sehnsüchte für immer zu verweilen, ist schon konstitutiv im Zyklus Jaworovs „Царици на нощта“ (1907–1909). Die Vermutung, dass Jaworov diese Trajanovsche Gestalt in verschiedenen Variationen erfindungsreicher entfaltet hat, scheint wohl begründet zu sein. Bei T. Trajanov war die Salome-Gestalt – ein kennzeichnender Exponent der Jahrhundertwende – eher etwas Durchläufiges, das in seiner späteren Dichtung keine merklichen Spuren hinterlassen hat. Bei Jaworov gewinnt die nach dem Liebesextase anflehende Frau eine Stilisierung seltsamer Art – die Gestalten von Messalina, Kleopatra, Sapho vollenden nämlich sein dichterisches Werk, und in der Anthologie „Подир сенките на облаците“ (1910) stellt dieser Zyklus den Höhepunkt der poetischen Entwicklung.

6.      Der Ausweg aus dem Symbolismus

Noch in den Büchern „Безсъници“ (1907) und „Химни и балади“ (1912) ist der Drang nach der objektiven Welt, sowie auch nach der Verbrüderung mit den Barbaren nachdrucksvoll. Im Jaworovs Gedicht „Маска“ (1907) ist danach gestrebt, die romantischen Klischees (den Weltschmerz, die „verwelkte“ Jugend) bloßzulegen und die echten Lebenswerte zu akzeptieren. Dieses Gedicht Jaworovs bezeichnet einen Wendepunkt in seiner Weltanschauung, es ist eine Vorwegnahme der Abkehr vom Individualismus – einer Tendenz also, welche die Literaturhistoriker erst nach den Kriegen (in der Periode 1919 – 1920) für aktuell erklären werden.

Außerdem spürt man bei Jaworov immer wieder den unentwegten Rückblick – es handelt sich um einen durchaus autoreminiszenten Dichter, der in seinen spätesten Werken ehemalige, schon überprüfte Bilder einführt und sie zu Stützelementen im neuen lyrischen Kontext macht. In dieser Hinsicht betrachten wir die späte Dichtung Jaworovs als eine sonderbare Metapoetik. Bei Jaworov empfindet der Leser das unaufhörliche Bedürfnis nach Erinnerung, nach Berührung an die einstige poetische Erfahrung. Jaworov schlägt solche Brücken zu seinem Frühschaffen, weil er schon Bedeutendes im Bereich der auseinandergelegten Poetiken erreicht hat und weil er, von diesem Bewusstsein ausgehend, das Gedächtnis seiner Leser zu provozieren versucht.

Im Unterschied zu ihm vernichtet Trajanov alle Brücken zu seiner dichterischen Vergangenheit – gnadenlos vertilgt er jede Andeutung, jeden Verweis, jede Spur. Nicht die Reminiszenzen sind ihm wichtig, sondern die konsequente Selbststilisierung im Geiste einer unzerstörbaren Monopathetik, die die Überwindung der atavistischen Antriebe einflößen sollte. Und trotzdem ist es möglich, in seinem Buch „Песен на песните“ (1923) einige Autoreminiszenzen festzustellen, welche die im Almanach „Южни цветове“ (1907) veröffentlichten lyrischen Zyklen direkt andeuten. Das ist das einzige Werk Trajanovs, in dem er sogar direkte Autozitate aufgreift, um ganz neue Ideen suggerieren zu können. Weil das nicht nur ein autoreminiszentes Werk ist, sondern auch ein Werk, in dem der Dichter seine neue Einstellung zur Welt und zur eigenen Dichtung verkündet, in dem er seine Erfahrung aus dem Buch „Химни и балади“ (1912) zusammenfasst, d.h. ein Werk, das zweifelsohne den Wert des Manifestes gewonnen hat. Und das ist vermutlich der einzige Fall, bei welchem Trajanov unwillkürlich, aber bedeutungsvoll die Gebärde Jaworovs in „Песен на песента ми“ (1906) wiederholt – die Erlösung vom Alten und das Bekenntnis zum neuen Credo. Das geschieht aber in einem stark veränderten kulturellen Kontext – im dynamischen Jahrzehnt der 20er Jahre, als die poetischen Manifeste solcher Art nicht so tief beeindruckten und deswegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ignoriert wurden.

 

Elka Dimitrova (Sofia)

Looking for the Language of Modernity (Observations on Geo Milev’s Critical Language)

This paper exposes some observations on Geo Milev’s critical language with a view to its representative importance for the Bulgarian modernism from the first decades of the 20th century.

Being a modernist, who recognized his own aesthetic roots in symbolism in order later to become the leading figure of Bulgarian avant-gardism (of expressionism in particular), Geo Milev seems to be a perfect example for the dynamism of Bulgarian modernism system. (In this interpretation a division of modernism, still accepted as classical in Bulgarian literary studies, is used, even though it is not that unarguable any more. Thus, modernism is presented as a dramatically contradictive continuity of three phases, and Geo Milev is distinguished as a cross-figure in this development.)

On the other hand, and what is more relevant to this paper: being a keen follower of German modernism, Geo Milev proved to be a representative figure of another important specificity of Bulgarian modernism - the tension between its native and European identity.

So, having made these two stipulations, I will drift to the concrete problems of this paper.

The specific being of Bulgarian modernism predisposed its out-of-doctrine development and such dynamism of its processes, which seemed to be too intensive even for a priori super dynamic system of modernism. This additional specificity came from the fact that Bulgarian modernism had been initially presented by its protagonists in an ambiguous way, which was preserved in the subsequent tradition of its interpretations. So, it was thought as both introduced (from the German, French and Russian cultural reality) and spontaneously grown up (as a result from some national (social and cultural) premises: the socio-political atmosphere of crisis in the first decades of the century, on the one hand, and the exhaustion of the symbolist model, on the other hand).

By this token, the modernist tendencies in Bulgarian literature did not form such a “normal” stage in the cultural development, as they did in most European literatures, but still they proved to be equally unavoidable and essential, compared to the “original” European ones.

The problem becomes even more complicated, if we face the tendencies of the avant-garde movement. Being the latest phase of modernism, it was especially sensitive about what had already become “native” (or what had been adopted from the previous modernist periods as an already native base) and what was still being “introduced” from the exemplary model of European modernism.

This extra lability in the constitutionally labile order of modernism gives a clue about some peculiarities of the Bulgarian modernist interpretation of some concepts, which were accepted as stable or at least self-explaining in European critical thinking. Being in their natural context there, they were a part of the tradition - no matter how disputed they were, so they didn’t need introduction in the way they needed it in Bulgarian Post-Revival culture.

Thematized in Bulgarian context, concepts, such as “realism”, “naturalism”, “positivism”, “modernism”, “decadence”, “symbolism”, “expressionism”…, grew over with all sorts of meanings as a result of the author’s interpretation and the wish to be announced among the “uninitiated”. Or they even became objects of creative improvisations which moved them visibly away from their certain literary-historical meanings.

This fact gives an explanation for the terminological instability, inherent in the critical texts of a writer as categorical in his opinions as Geo Milev. Typologically similar appearances of art were formulated there once as “symbolism”, second time as “expressionism”, third time as “romanticism”, or straight as “poetry” or “real art”.

Besides, Geo Milev was obviously aware of his inductive theoretical approach - i. e. it was not a result of ignorance or lack of understanding for the specific items. It rather expressed a generalizing attitude, led by the desire to explain “in short”. In the same time though, Geo Milev’s theoretical approach reflected also the avant-garde tendency to an egocentric redefinition of the “whole” past and current culture. And if in the beginning of his literary development he had at his disposal the concept of “symbolism”, onto which he projected his intuition for modernity, later the same attitude just found a new concept to be projected onto - “expressionism”.

That is why in Geo Milev’s texts on aesthetic problems the same definitions often refer to “symbolism”, as well as to “expressionism”, but in both cases there is an attempt rather to articulate modernity than to define different trends in literature. Obviously, we cannot speak of “confusion”, as Geo Milev himself wouldn’t miss an occasion to declare the relativity of his terminology (especially of the term “symbolism”) in the general context of the “unified art” and “unified aesthetics”: “There is nothing as “modernism”, there is nothing as foreign and ours. Everything is the same: unified art, unified aesthetics (…) Symbolism is not a school; it is The Art. So why shouldn’t this art be called romanticism? It is a question of a useless term - a question of a sign-board.”[1]

In this train of thought, special attention is paid to Geo Milev’s  terminological creativity, concerning some basic concepts of modernism, such as the opposition: realism - antirealism/contra-realism/ “irrealistics”, or its more detailed projections (mimetic - abstract art, epic - lyric, materialism - idealism, rational - intuitive, analytical - synthetic, whole - fragmentary, etc.). Summed up, they give quite a full picture of the modernist aesthetical ideology in its dynamic interaction with the contested model.

 

Ulrike Jekutsch (Greifswald)                                                                                           

Jan Kasprowiczs „Mein Abendlied“ im Panteon Teodor Trajanovs. Zur Position der polnischen Literatur in der bulgarischen Sicht auf die europäische Moderne

In den 50 Gedichten des Panteon (1934) entwirft Teodor Trajanov einerseits seine Konzeption einer „universalen synthetischen Dichterpersönlichkeit“, und baut andererseits seinen Tempel bzw. seine ‚Gemäldegalerie’ der von ihm für die Moderne vereinnahmten europäischen Dichter auf. In dieses Panteon wird auch die polnische Literatur bzw. Jan Kasprowicz als ihr einziger ausgewählter Vertreter aufgenommen. Der Vortrag analysiert die Konstruktion des Zyklus Panteon und das Gedenkgedicht auf Jan Kasprowicz, „Grjadušta Madona“, das dessen bedeutendstes Werk aus seiner expressionistischen Phase, Hymny (1901-02 bzw. 1922), aufruft. Es wird die Bedeutung Jan Kasprowiczs in der polnischen Literatur der Moderne sowie seine Rezeption im bulgarischen Symbolismus skizziert und anschließend auf die Position des Gedenkgedichts auf Kasprowicz im Kontext des Panteon und der dort entwickelten Konzeption einer europäischen und zugleich slavischen Dichterpersönlichkeit der Moderne eingegangen.

 

Svetlana Kazakova (München)

Das Lied des Liedes: Text, Metatext und Hypertext in der bulgarischen Moderne

Wie in den anderen europäischen Literaturen manifestierte sich die  Moderne in Bulgarien als künstlerische Richtung, bei der das Lied (Gesang, Musikstück) als Sinnbild eines emanzipierten Wortes proklamiert wurde. Das „neue schöpferische Bewusstsein“ (I. Radoslavov) der Symbolisten und Impressionisten veranlasste sie, die neue Poesis durch die Leidenswege der dichterischen, aber auch der kollektiven Volksseele zu erkunden und zu offenbaren. Dies rief poetische Paradigmen hervor, die eine leidende bzw. sich wandelnde Schönheit darstellen. Programmatischen Charakter dabei erhielt das Metathema, das Lied des Liedes, dessen Bearbeitung, wie im Poem „Das Lied der Lieder“ T. Trajanovs, im Gedicht-Manifest „Das Lied meines Liedes“ P. Javorovs oder in den Klageliedern N. Lilievs, sich an der archaischen Sprechweise der Lyrikkunst orientierte. Emblematisch markiert durch die goldene Harfe Apollons, bedeutete Lyrik, das Wort dichterischer Hochsprache in erlesenen Singversen mit dem Klang der Lyra (Kithara und Flöte) zu vereinigen. Ästhetisch hieß es die Renuminisierung des Heiligen, das nun als vaterländisch-nationalen Charakter archaischer Singart gefeiert werden sollte (W. Janke). 

Die Ontologie des Gesanges erlaubt eine originelle poetische Inszenierung der bekannten Topik der Moderne: Die reine Ästhetik artikuliert sich als Sterben und Geborenwerden im Schaffen (D. Debeljanov), als Hölle und Paradies im Fest der Liebe (P. Javorov), letztlich als Opfer und Altar zugleich im Pantheon der Poesie (T. Trajanov). Das Mysterium der Einweihung in eine neue Dichtkunst und darüber hinaus in eine visionäre Mission des Slaventums prägen die Künstler in mythopoetische Strukturen ein, die ihren Sinn in den Riten einer neu verkündeten künstlerischen Religion stiften. Von der Allgemeingültigkeit des Hoheliedes über die Hymnen des Slaventums bis zum „Blutigen Lied“ (P. Slavejkov) einer Volksgeschichte stellt die Modernität ihren Thesaurus an der Grenze des Nationalen und Universalen zusammen.

Die Mythopoetik der Moderne ermöglicht es, die Beschreibung dieses Thesaurus als Reinkarnation eines Proto-Hypertextes zu deuten. Das nationale Spezifikum könnte dabei als eines von „thousand plateaus“ (Deleuze, Guattari) gesehen werden im postmodernen Kulturraum, in dem anstatt logos (Wort, Fabel) der nomos (Lied, Gesang) regiert - die Bezeichnung für Dynamik, Spatialität und Antihierarchie des Systems. Vor diesem Hintergrund scheint das Motiv des Liedes als Parole zu einem sich selbst aufdeckenden System eines emanzipierten Poetismus zu dienen, die seine Einordnung in einen Hypertext zulässt, im Sinne „a structure for what does not yet exist“ (Moulthrop).   

 

Alexander Kiossev (Sofia)

Self-Colonization Revised: Literature and the Institutions of Social/National Imagination.

Some Southeast European nations had peculiar position to the constitutive process of the late European modernization - the colonization and "europeanization" of the world. They were neither colonizer, nor colonized in the modern sense; yet, they accepted voluntary the cultural codes and the values of the Other. i.e. the imaginary Europe. In this context the cultural institutions of the national imagination, and especially the literature, gained a special importance. Unlike Western Europe where modern literatures were part of the Romantic counter-modernization movement, national literatures and public representation policies in these peripheral cultures were major vehicles of a peculiar "imaginary" process of modernization  and nation building. This makes the social status of literature and its institutions (its 'tradition', its 'national "genii and classics", its literary-historical Grand Narrative, its picture of the 'world literature" etc.) in these cultures a challenging research problem.

 

Boris Minkov (Sofia)

“Die moderne Poesie” Geo Milevs und Theodor Trajanovs „Pantheon“ – zwei Konzepte der Moderne

Geo Milevs Beitrag „Die moderne Poesie” (1914) und Theodor Trajanovs Gedichtkranz „Pantheon“ (1934) sind zwei Musterbeispiele für die Probleme der Aneignung der westeuropäischen Literatur in Bulgarien. „Die moderne Poesie” trägt Manifestcharakter (Geo Milev betont mehrmals die Notwendigkeit einer „Emanzipation der modernen Poesie von sämtlichen jahrhundertelangen Traditionen der alten Kunst gegenüber“). Er betrachtet die moderne Poesie nicht als Periode oder Schule, sondern als universelle ästhetische Weltanschauung. Trotzdem sucht der Dichter die Quellen dieser Weltanschauung eindeutig in der westeuropäischen Literatur. In dieser Suche entwickelt Geo Milev viel mehr “Sujet“ im Vergleich zu den anderen Manifesten der Moderne. Ein anderes Merkmal dieses seltsamen Manifestes: die Diskussion über die moderne Poesie ist hier deutlich auf die Dichterpersonen gestützt. Die moderne Seele ist in diesem Artikel ein zentrales Leitmotiv. Dieses primäre Kriterium entscheidet, was (oder besser wer) Teil der modernen Poesie ist und was (wer) nicht. So stehen z.B. die Autoren des französischen Klassizismus, Lessing, Schiller und offensichtlich die ganze Romantik in einer Reihe mit “Tausenden weiteren Ameisen“ zwischen den 'Riesenfiguren' von Villon und Verlaine. Dieses personalistische Bild der modernen Poesie ist aber nicht primär zeitgebunden: Arthur Schnitzler z. B. kommt nicht als Ritter der modernen Seele vor. Eine These meines Beitrages lautet, dass dieses Manifest nur scheinbar radikal ist – trotz aller Entscheidungen und Wertungen ist hier auch der historische („ameisenhafte“) Hintergrund als produktive Umgebung der modernen Poesie vorhanden.

Mittels der parallelen Lektüre von Teodor Trajanovs Buch „Pantheon“ lässt sich erkennen, in welchem Sinne und Maße ein Manifest (wenigstens in der bulgarischen Literaturgeschichte) bald zum maßstäblichen Werk wird. Es ist zu vermuten, dass dieser unscharfe, doppelsinnige Charakter der bulgarischen Avantgarde, deren Ziel nicht die avantgardistische Geste selbst, sondern deren Institutionalisierung ist, eine ständige „Radikalisierungspraxis“ der bulgarischen Literatur herausfordert. „Pantheon“ unterstützt ein additives Bild der modernen Poesie. Dieses Bild sammelt sowohl die von Geo Milev herausgestellten Dichter als auch diejenigen, welche von Geo Milev implizit in der Reihe der „alten Kunst“ untergeordnet sind (Novalis, Kleist, Hölderlin, Heine, Byron). Mein Beitrag wird weiter in den Blick nehmen, inwiefern die beiden Texte über ein romantisches Konzept verfügen. Es geht z.B. um den Außenseiter- und Pilgermythos (dazu gehört die Flucht als ständiges Stichwort für die modernen Poeten bis heute), die Fragestellung der Sinneserfahrung oder die Aura der synkretistischen Kunst, die Gleichstand zwischen Werk und Leben postuliert. Die Tatsache einer erweiterten Reihe der modernistischen Dichter in der Gedichtsammlung Trajanovs ist symptomatisch für das rezeptive Umfeld der 30-er Jahre. Dazu gehören auch die stark ausgeprägten messianistischen Motive und die Bearbeitung des eigenen Nationalbildes. Aber auch dieses “Pantheon“-Motiv ist bereits bei Geo Milev zu finden.

Im Hintergrund beider Texte steht die Erfahrung, dass die Moderne selbst einen ständigen Trieb zum Aneignung, zur Addition von Erscheinungen verschiedener Art übte.

 

Ivan Mladenov (Sofia)

Conceptual Beauty (Penčo Slavejkov and Charles Peirce)

The end of 19th century is characterized by a deepening of human knowledge in various areas of sciences. In psychology, Sigmund Freud drew aside the curtains of consciousness to take a look inside dreams and nightmares. In physics, a corpus of brilliant scientists reached the unknown world of nuclear fission; in other words, clarification of the unseen and untouchable was under way; such was “die Zeitgeist” of the epoch. The process was typical not for physics only, but for psychology, philosophy and even for poetry. An opposite wave of resignation, in keeping with Newton’s earlier pronouncement, decadence and spleen arose in literature too. 

Is a comparison between Penčo Slavejkov and Charles Peirce relevant at all, and in what way? At first glance, the only association between them is that both were contemporaries. The enigmatic thought of Charles S. Peirce (1839-1914), considered by many to be one of the greatest philosophers of all time, involves inquiry not only into virtually all branches and sources of modern semiotics, physics, cognitive sciences, and mathematics, but also into logic, which he understood to be the only useful approach to the riddle of reality. Penčo Slavejkov (1866-1912), a humanitarian, poet and philosopher, was educated in Germany and became the first modernist of Bulgarian literature, i.e. the first writer to link up more directly with the international movements. Besides his aesthetic and critical works, he wrote some short poems infused with a surprising warmth and longing but with an unveiled wisdom as well. What unites the searches of both thinkers were the common ideas they shared about ethics, aesthetics and thought. Thus, rather than attempt to compare Peirce's views to some aspect of the practice or the theory of art of Penčo Slavejkov, or even to a particular work of art, my intention is to examine how art fits into the individual conceptions of both thinkers.

 

Emilia Staitscheva (Sofia)

Zu den Lenau-Porträts von Teodor Trajanov und Penco Slavejkov im intertextuellen Dialog

Mit dem angegebenen Vortragsthema soll der Versuch unternommen werden, das Porträt-Gedicht "Der Triumphwagen des Wahnbefangenen" [Koлесницата  на Безумния] von Teodor Trajanov (1882-1945), dem deutschsprachigen Dichter Nikolaus Lenau in memoriam gewidmet, veröffentlicht in der Hochzeit der Moderne 1928 in der Zeitschrift "Hyperion", in die bulgarische literarische Entwicklung einzuordnen. Letzteres wäre nicht möglich, ohne es in Bezug zu setzten zu dem bereits vorhandenen Lenau-Porträt dieser Genreart von Pencho Slavejkov (1866-1912) "Der zur Ruhe Gekommene" [Успокоения], aufgenommen in den Lyrikband "Epiceski pesni" und veröffentlicht 1896.

Das Herangehen an beide Lenau-Porträts stützt sich auf Konzepte der Theorie der Intertextualität, und zwar auf die sich immer mehr durchsetzende Tendenz der Auffassung des Intertextes nicht allein im Innerliterarischen. Denn das Erhellen eines Lenau-Porträts zieht in Betracht auch die Persönlichkeit Lenaus und damit ebenfalls den transliterarischen Bogen zur objektiven Realität. In den Porträts begegnen sich zwei Kulturen - die "eigene" und die "fremde".

Das Gedicht von T. Trajanov ist intertextuell als eine Art Replik auf Slavejkovs Gedicht zu verstehen. Slavejkovs Lenau-Rezeption fußt auf seinen Übersetzungen von sieben Gedichten des Autors, aufgenommen in seine Anthologie "Deutschsprachige Dichter", mit welchen sein unmissverständlicher Einstieg in das bulgarische literarische Leben beginnt. Zum Unterschied von Slavejkov verfasst Trajanov das Lenau-Gedicht im Zuge seiner breit angelegten produktiven Rezeption fremdländischer und somit deutschsprachiger Lyriker, belegt mit dem 37 Porträtgedichten in seinem "Pantheon".

Slavjekovs Lenau-Verständnis, zum Ausdruck gebracht mit seiner Auswahl der Gedichte und dem seine Übertragungen begleitenden Artikel, exemplifiziert poetologisch die in Bulgarien ansetzende literarische Moderne. Es wird auf die Melancholie, intendiert vom Weltschmerz und dem Gedanken an den Tod, grundsätzlich durch Jahres- und Tageszeiten sowie Naturerscheinungen ausgedrückt, hingewiesen.

Während Slavejkov seine Vorliebe für Lenau damit bekundete, dass er Gedichte von ihm ins Bulgarische übertrug, bezeugte Trajanov seine Geistesverwandtschaft mit dem deutschsprachigen Lyriker damit, dass er seine eigene Dichtung - gedacht ist an den Lyrikband "Romantische Lieder" - mit der Lenaus in Korrespondenz setzte.

Ausführlicher wird auf die Lenau-Porträts in einer intertextuellen Interpretation eingegangen. Die Idee der Dichtung von Slavejkov konzentriert sich auf das Verfallen in den Wahnsinn und das Erreichen der Ruhe in den Tod, wobei der Seele Lenaus Nietzscheanische Ideen zugrundeliegen.

Während Slavejkov von der Biographie Lenaus ausgeht, zieht Trajanov sein künstlerisches Werk heran. Thematisch orientiert er sich auf die Epen "Don Juan" und "Faust". Im Zuge der mit Trajanov weiter geführten Subjektivierung in der bulgarischen Moderne ist die dritte Person des Gedichtes von Slavjekov zur ersten geworden, was die Monologform bedingt. Der Umfang  des Philosophischen wird erweitert. Trajnov greift z.B. das in der Lenau-Forschung diskutierte Freiheitsthema auf und berührt die Religionskritik.

Mit den herangezogenen Portrait-Gedichten von Teodor Trajanov und Pencho Slavejkov wird der Anteil Lenaus am Zustandekommen und an der Entfaltung der bulgarischen literarischen Moderne aufgedeckt. Es ist ein Beispiel für inneneuropäische Literaturbeziehungen und damit für die Relation Nationalliteratur-Weltliteratur.

 

Galin Tihanov

Revisiting ‘Minor Literatures’

In this paper I revisit the notion of ‘minor literatures’ by placing it in the context of recent post-structuralist and postcolonial thought. I also ask how the idea of ‘minor literatures’ came into being, and how it is being reshaped by radical developments in the discipline customarily referred to as ‘literary history’. Even though the appeals to abandon literary history have, ironically, a century-long history, the sense of crisis and methodological predicament did not begin to be acutely felt until the 1980s when attempts at reforming the craft of literary historiography culminated in the well-known A New History of French Literature (1989). Many saw this project as an assault on traditional literary history, while having to admit that its editor, Denis Hollier, had recognized the difficulties besetting the discipline upon the arrival of postmodernism and post-structuralism, including the ever more elusive distinction between ‘minor’ and ‘major’ literatures, and had responded in an innovative, if inconclusive, fashion. Whether the notion of ‘minor literatures’ can preserve its meaningfulness vis-à-vis the ongoing re-mapping of contemporary culture will largely depend on the modifications of the wider framework in which these changes take place. Understanding these modifications seems to me to be an essential first step. In this paper I discuss three factors (the nation state; the media; the evolution of society under the pressures of changing demographics), and seek to elucidate and weigh their impact on the idea of ‘minor literatures’.

 

Mladen Vlashki (Plovdiv)

Der Weg von T. Trajanov zu seinem Pantheon – ein exemplarischer Fall der bulgarischen Moderne

Die Hauptstrecke des poetischen Weges von Trajanov liegt in Wien in der Periode der Wiener Moderne. Unbekannte biographische Fakten aus dieser Zeit und der als verschollen gegoltene Text des „Jungen Königs“ (Erstaufführung – Wien 1914) stehen im Zentrum des Vortrags. Auf Grund dieser Beobachtungen wird der Versuch unternommen, die Strategien der Realisierung einer musterhaften Dichterbiographie zur Zeit der bulgarischen Moderne zu beschreiben.


[1] Milev, G. Directions and aims. - Vezni, I, book 2, 30. 09. 1919.