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Exkursion ins ehemalige Ostpreußen, 17.–23.07.2025

Altstadt Olsztyn

Altstadt Olsztyn

Mural Olsztyn

Mural Olsztyn

Wolfsschanze: Bunker

Wolfsschanze: Bunker

Wolfsschanze: Reenactment Attentat

Wolfsschanze: Reenactment Attentat

Masurische Seenplatte

Masurische Seenplatte

Elk: Bahnhof und Museum

Elk: Bahnhof und Museum

Klaipeda: Theaterplatz

Klaipeda: Theaterplatz

Klaipeda: Historische Altstadt

Klaipeda: Historische Altstadt

Nida: Thomas Mann Museum

Nida: Thomas Mann Museum

Vom 17.–23.07.2025 fand im Rahmen des Seminars „(P)Ostpreußen – Nachleben einer Provinz“ eine Exkursion nach Polen (Ermland, Masuren) und Litauen statt. Ziel war es, die erinnerungskulturellen, gesellschaftlichen und historischen Dimensionen der Region zu untersuchen. Die Exkursion sollte somit einen praxisnahen Zugang zur Auseinandersetzung mit dem ostpreußischen Erbe in der Region, insbesondere nach 1945, ermöglichen.

Am 17.07. reiste die Gruppe von Berlin über Frankfurt/Oder mit einem Zwischenstopp in Poznań nach Olsztyn (dt. Allenstein). Nach dem Check-In in der Unterkunft brachen wir in das Stadtzentrum auf und konnten dort erste Eindrücke sammeln. Während in den Außenbezirken die sozialistische Architektur dominiert, finden sich innerhalb der früheren Befestigungsanlagen und jenseits des imposanten Stadttors einige gut erhaltene historische Bauten sowie einige Rekonstruktionen aus der jüngeren Zeit. Das während des Ersten Weltkriegs fertiggestellte neue Rathaus ragt dabei architektonisch heraus. Die ehemaligen Befestigungsanlagen wurden geschleift und zu einem Park weiterentwickelt, der Olsztyn zu einer grünen Stadt macht.

Der zweite Exkursionstag begann mit einem Besuch des Instytut Północny im. W. Kętrzyńskiego, wo Jerzy Kiełbik einen Überblick über die Geschichte und Entwicklung der Stadt nach dem zweiten Weltkrieg gab. Im Zentrum der Präsentation stand die Stadtentwicklung nach 1945. Ein Großteil der Zerstörungen historischer Bausubstanz ereignete sich nicht während des Krieges, sondern danach. Ähnlich wie in anderen Städten der Volksrepublik Polen wurde auch in Olsztyn eine Politik der Rekonstruktion der historischen Altstadt verfolgt. Das Zentrum organisiert eine Reihe von Ausstellungen und zeichnet verantwortlich für zahlreiche Publikationen in mehreren Sprachen. Somit nimmt es eine zentrale Rolle in der Aufarbeitung der gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte ein. Beim anschließenden Stadtrundgang wurden ostpreußische Spuren und die Stadtgeschichte thematisiert. Unter anderem wurden der Dom St. Jakob und die Ordensburg besichtigt. Auch historische Ereignisse in der Stadt wurden diskutiert, zum Beispiel die Volksabstimmung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, in der eine große Mehrheit der Bewohner für den Verbleib in der Weimarer Republik votierte. Die Mittagspause wurde für einen kulinarisch traditionellen Besuch in einer polnischen Milchbar genutzt. Anschließend besuchten wir das Bet Tahara-Haus, ein frühes Werk des in Olsztyn geborenen Architekten Erich Mendelsohn, das heute mustergültig saniert ist, die späteren modernistischen Versionen Mendelsohns aber allenfalls erahnen lässt. Heute beherbergt es die Fundacja Borussia Olsztyn, die wichtigste zivilgesellschaftliche Organisation in der Region, die sich um die Aufarbeitung der deutsch-polnischen Geschichte verdient gemacht hat.

Der Vormittag des dritten Exkursionstages stand im Zeichen der Erinnerungskultur an die beiden Weltkriege. Zunächst erfolgte ein Referat über das Tannenbergdenkmal, die zentrale Gedenkstätte an die propagandistisch inszenierte Schlacht im Ersten Weltkrieg. Das Tannenbergdenkmal mit seiner monumentalen Architektur wurde insbesondere in der nationalsozialistischen Zeit zu einem intensiv bespielten Erinnerungsort, an dem auch die Beisetzung Hindenburgs 1934 stattfand. 1945 wurde es gesprengt, heute erinnern an den Ort nur mehr einzelne Spuren und Tafeln. An der Wolfsschanze angekommen, auf dem während des Zweiten Weltkriegs das Führerhauptquartier Hitlers in Ostpreußen lag, durften alle Kommiliton:innen das Gelände in ihrem eigenen Tempo besichtigen. Das weitläufige Gebiet, in dem sich Dutzende Bunkeranlagen befinden, steht gegenwärtig unter der Aufsicht der polnischen Fortverwaltung. Bereits bei der Ankunft überraschten uns die zahlreichen Parkplätze und die Besuchermassen, v.a. polnische Touristen aus dem umliegenden Seengebiet. Während des Rundgangs durch den Wald können v.a. die gesprengten Bunker besehen werden. In einer Baracke gibt es ein kleines Museum, in denen Funde auf dem Territorium präsentiert und kurz auf die Hintergründe des nationalsozialistischen Regimes verwiesen werden. In einer weiteren erhaltenen Baracke ist das Attentat Stauffenbergs auf Hitler am 20. Juli 1944 nachgestellt. Diese Präsentation erwies sich als diskussionswürdig: Zahlreiche Informationstafeln beschränkten sich beispielsweise auf technische Details zu Bau und Sprengung der Bunker. Auch fiel eine Reihe ungeordnet aufgestellter Büsten, Münzen und Abzeichen ohne historische Einordnung auf. In der Gruppe wurden daraufhin Fragen zur Verantwortung im Umgang mit Orten, an denen die NS-Spuren hinterließ, diskutiert. Was bedeutet es, einen solchen Ort touristisch zu besuchen? Inwiefern lassen sich Vergleiche zu anderen Erinnerungsorten ziehen? Und warum wird die Geschichte hier so erzählt, wie sie erzählt wird?

Am Nachmittag setzte die Gruppe ihre Fahrt nach Giżycko (dt. Lötzen), dem zentralen Erholungsort an der masurischen Seenplatte fort. In der Altstadt finden sich nur wenige historische Zeugnisse, dafür ist das Seeufer intensiv touristisch erschlossen, u.a. durch Fahrgeschäfte, Hüpfburgen, zahlreiche Souvenirstände und private Tourenanbieter. Vor Ort finden sich v.a. polnische Touristen, darunter viele Familien. Nach einem gemeinsamen Mittagessen unternahmen wir eine Schifffahrt über die Masurische Seenplatte. Vom Wasser aus zeigte sich eindrucksvoll die landschaftliche Prägung der Region, die heute vor allem touristisch genutzt wird. Am Abend kehrte die Gruppe nach Olsztyn zurück.

Am vierten Tag brach die Gruppe früh aus Olsztyn in Richtung Ełk (dt. Lyck) auf. Im historischen Museum in Ełk begrüßte der Direktor Radosław Żytyniec die Gruppe in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude. Während seiner Führung spannte er einen Bogen von der mittelalterlichen Stadtgründung über das 19. Jahrhundert und eine aktive jüdische Gemeinde bis hin zur Volksabstimmung von 1920 und zur NS-Zeit. Auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Herausforderungen für die Gesellschaft wurde diskutiert. Dabei betonte er die konkurrierenden Deutungen der Geschichte, die von Vertriebenenverbänden bis zu nationalpolnischen Narrativen reichen, und beschrieb die Nachkriegszeit als Phase intensiver Aushandlungsprozesse. Herrn Żytyniecs Engagement für die deutsch-polnische Verständigung, das auch vor nicht immer ganz einfachen Gesprächen mit Vertriebenenverbänden zurückschreckt, steht exemplarisch für die vielschichtige, um die Erhaltung von Bausubstanz und Kulturerbe (in Lyck wurde Siegfried Lenz geboren) bemühte lokale Perspektive, die allen Besucher:innen imponierte.

Am Nachmittag setzte die Gruppe ihre Reise nach Klaipėda fort. Die dünn besiedelte Region steht seit einiger Zeit im Zentrum geopolitischer Planspiele, verläuft dort doch der sogenannte Suwałki-Korridor, die kürzeste Verbindung von Belarus in die russische Exklave Kalinigrad. Diese Stelle gilt als Achillesferse der militärischen Verteidigung und Versorgung der baltischen Staaten. Die zunehmende Militarisierung der Region, die wir bereits in Olsztyn punktuell beobachten konnten, zeigt sich hier deutlich. Infrastrukturell ist die Verbindung zwischen Litauen und Polen nur wenig erschlossen, ein Zug fährt unregelmäßig und die Straße ist kaum für größere Transporte ausgebaut. In einem Referat eines Kommilitonen wurden diese und weitere Aspekte kritisch thematisiert. Am Abend fand der Check- In in die Unterkunft in Klaipeda statt.

Der fünfte Exkursionstag begann mit einem Gesprächstermin bei Vasilijus Safronovas am Institute of Baltic Region History and Archaeology der Universität Klaipėda. In seinem Vortrag beschrieb er die wechselvolle Geschichte der Stadt, die bis 1945 Teil Ostpreußens war und nach dem Zweiten Weltkrieg in die Litauische SSR integriert wurde. Im Fokus stand die Frage, wie sich im 19. und 20. Jahrhundert die Idee einer litauischen Nation herausbildete in einem Territorium, das lange Zeit unter dem Einfluss des Deutschen Reiches und des Zarenreiches gestanden war. Der Nachmittag stand zur freien Verfügung und wurde von vielen aus der Gruppe für einen Rundgang durch Klaipėda genutzt. Dabei fiel besonders der vergleichsweise große Hafen für die Stadt, die Speicherhäuser und die engen Gassen des Altstadtkerns auf. Aufmerksamkeit fanden auch die zahlreichen Skulpturen im öffentlichen Raum. Den Abend beschloss ein Referat zur Figur des „Ännchens von Tharau“ auf dem Simon-Dach Brunnen auf dem zentralen Theaterplatz. Das bekannte Volkslied begründete den Ruhm Simon Dachs und galt viel Jahrzehnte als zentraler Marker ostpreußischer Identität im Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik Deutschland. Die wechselvolle Geschichte des Denkmals illustriert exemplarisch die wechselvollen deutsch-litauischen Beziehungen. Nach dem Ende des Sozialismus wurde ein Replikat der Figur auf Betreiben eines deutschen Spenders wieder an seinen ursprünglichen Ort gesetzt, von wo es in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verschwunden worden war. Heute ist es ein beliebtes Fotomotiv und gilt vielen als Symbol der Verständigung.

Am sechsten Tag setzte die Gruppe mit der Fähre über zur Kurischen Nehrung und fuhr anschließend mit dem Bus weiter. Das Fischerdorf Nida (dt. Nidden), das nur wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, war das Ziel der kurzen Reise und bildete einen Kontrast zu den zuvor besuchten Städten. Zunächst wurde das Thomas-Mann-Haus besichtigt, das sich der Schriftsteller errichten ließ und in dem er in den Jahren 1930–1932 seine Sommerfrische verbrachte. In begleitenden Referaten präsentierten Kommiliton:innen sowohl Manns Beziehung zu Nidden, als auch die dort entstandene Künstlerkolonie, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl deutscher Künstlerinnen an die Ostseeküste lockte. Anschließend nutzte die Gruppe die freie Zeit, um die Dünenlandschaft zu erkunden. Von den bis zu sechzig Meter hohen Sanddünen bot sich ein weiter Blick über die Nehrung, die Ostsee und die russische Grenze. Am Abend erfolgte die Rückkehr nach Klaipėda und das Boarding auf die Fähre, die die Gruppe über Nacht nach Kiel bringen sollte.

Am siebten Tag setzte sich die Fahrt der Gruppe auf der Fähre fort. Nach der Ankunft in Kiel am Abend setzte die Gruppe die Fahrt gemeinsam mit dem Zug nach Berlin fort und beendete dort die Exkursion.

Fabio Sievers