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Memes of Resistance. Ein Projekt von Sven Björn Popp und Anna Maria Schulze 

12.02.2023

Sehen Sie sich die Karte hier an!



1.    Das Projekt: Einführung und Reflexion

 Wofür steht das Akronym HIMARS? Wer (oder was) verbirgt sich hinter der North Atlantic Fellas Organisation (NAFO)? Was hat es mit der fiktiven Heiligen „Saint Javelin“ auf sich? Wie wurden SonnenblumenkerneWassermelonenWaschmaschinen und die japanische Hunderasse Ibu Shina Teil des kollektiven Bildgedächtnisses des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine? Mit welchen Strategien versuchen diese Meme und ihre Produzent*innen, die Resilienz in der ukrainischen Zivilbevölkerung zu stärken? Wie effektiv sind Meme darin, die im Ausland drohende „Ukraine Fatigue“ (der Zustand des Überdrusses angesichts scheinbar endloser Berichterstattung über die Kampfhandlungen) abzuwenden? Ist es pietätlos, als Unbeteiligte*r über Kriegs-Meme zu lachen, sie zu teilen (verbreiten) oder gar selbst zu erstellen? Oder handelt es sich im Gegenteil um ein Zeichen von Solidarität und ein legitimes Mittel des zeitgenössischen Aktivismus?

Diese und andere Fragen interessieren uns und haben das Projekt motiviert. 

Wie inzwischen nahezu jedes öffentliche Ereignis wurde auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine von einem Strom korrespondierender Meme begleitet, welche auf den Plattformen unterschiedlicher sozialer Medien wie Instagram oder Twitter kursieren.

Im Rahmen des Seminars “Zeugnisse des Kriegs” wollen wir unsere ganz spezifische Wahrnehmung des Kriegs als “Außenstehende” vermitteln. Diese ist wie bereits angedeutet geprägt von “Memen”, da wir insbesondere als junge Menschen unsere Informationen zu einem großen Teil aus dem Netz beziehen bzw. auch Freizeit im Netz “verbringen” (browsen, schmökern, chatten). 

Für die Übermittlung unserer spezifischen Wahrnehmung des Ukrainekriegs wollen wir einige ausgewählte Mem-Cluster (Memplexe) sammeln, ordnen, analysieren und kontextualisieren, wobei wir den Fokus auf anti-russischen bzw. pro-ukrainische Widerstands-Memen, in der Presse wiederholt als Memes of Resistance bezeichnetgelegt haben.

Dies hängt einerseits damit zusammen, dass wir aufgrund unserer politischen Einstellung und Positionierung im Netz nahezu ausschließlich mit Memen der pro-ukrainischen Seite konfrontiert werden (vgl. Filterbubble). Ein weiterer Grund für die Entscheidung, vorranging pro-ukrainische Memen zu untersuchen, dass wir den pro-russischen Propaganda-Memen ungern eine zusätzliche Plattform geben möchten. Russische Websites und soziale Medien haben allerdings trotzdem Eingang in die Karte gefunden, um nicht die Illusion eines rein westlichen Medien-Universums aufkommen zu lassen. In den Begleittexten versuchen wir zusätzlich, die mediale Situation in Russland etwas zu skizzieren.  

Das Ergebnis unserer Recherche präsentiert sich in Form einer rhizomatischen, assoziativen “Karte” -  mit einer Vielzahl an “Memen” kombiniert mit kleinen Erklärungstexten sowie einer (gezwungenermaßen unvollständigen wie ebenso heterogenen) Übersicht unterschiedlicher Akteur*innen, Unternehmen, Plattformen, Entwicklungen, Theorien, Praktiken, Technologien und Ereignissen, die ebenfalls eine (bewusste oder unbewusste) Rolle im Netz spielen. Es war uns wichtig, diese ebenfalls zur Kontextualisierung abzubilden. Oszillierend zwischen Ordnung (Mustern, Themen, Gemeinsamkeiten und assoziativen Verknüpfungen) und Chaos formieren sich Hunderte von grafischen und textuellen Objekten so auch zu einer Metapher für das Internet selbst.

Weiterhin finden sich auf der Karte Abbildungen von Aktionen, in denen die Sphäre des Digitalen verlassen wird, wie etwa beim Projekt “SignMyRocket” – eine Crowdfunding-Website, auf der Menschen gegen Spende Botschaften auf Munition und Ausrüstung schreiben lassen können. Ferner finden sich dort auch Literaturhinweise in Form von Buch-Covern, die sich mit den Themen Internet, Memen, Netzwerktheorie, Digitalkultur, etc. beschäftigten.

Die digital produzierte Karte wird im Rahmen des Peter-Szondi-Tags am 10. Februar 2023 als gedrucktes Poster präsentiert, um eine analoge „Lesbarkeit” zu ermöglichen.

 

2.    Memtheorie

Im Zusammenhang mit dem Internet gibt es verschiedene Theorien über den Begriff "Meme". Einige der bekanntesten sind:

  1. Evolutionäre Theorie der Meme: Diese Theorie besagt, dass Memes wie Gene funktionieren und sich durch Verbreitung und Anpassung an die Kultur verändern und weiterentwickeln.
  2. Kultur-Replikationstheorie: Diese Theorie betrachtet Memes als kulturelle Einheiten, die von Person zu Person repliziert werden und somit eine Art kultureller Evolution darstellen.
  3. Semiotische Theorie: Diese Theorie beschreibt Memes als Zeichen oder Signale, die über kulturelle oder soziale Medien übertragen werden und eine bestimmte Bedeutung oder Botschaft vermitteln.
  4. Cyberkultur-Theorie: Diese Theorie sieht Memes als Ausdruck der Cyberkultur und als Teil des kollektiven Gedächtnisses im Internet.

Jede dieser Theorien bietet einen einzigartigen Blickwinkel auf die Natur und Bedeutung von Memen im Internet. Aber was genau sind „Meme” eigentlich? „Bunt, anarchisch, humorvoll-ironisch, oft (absichtlich) dilettantisch und dennoch „die vielleicht vitalste (…) Form der Kultur, die wir derzeit erleben“ (Gehlen, Dirk von. Meme: Muster digitaler Kommunikation. Berlin, 2020, S. 7.): Meme (dt. singular Mem, engl. Meme/Memes) prägen unsere gegenwärtige Wahrnehmung. Diese digitalen Konzepte in Form von Bild- oder Videodateien werden viral über das Internet verbreitet, d.h. kopiert und referenziert. Sie zeichnen sich aber vor allem dadurch aus, dass sie sich in einem permanenten Prozess von Imitation, Adaption und Dekonstruktion befinden, also stetig weiterentwickelt und aktualisiert werden. Deshalb können sie immer nur als Teile eines kreativen Referenzsystems, nie als singuläre „Werke“, verstanden werden. 

Bereits Mitte der Nullerjahre wurde das politische Potential solcher scheinbar banalen Unterhaltungsinhalte diskutiert, etwa zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung oder als strategische Kriegspropaganda („Memetic Warfare“). Die realpolitische Wirkmächtigkeit von Memen gilt heute als unbestritten, ihre Effizienz wird auf die Kombination etablierter Sehgewohnheiten (z.B. die emblematische Verbindung von Bild und Schrift, die spätestens seit dem Mittelalter fester Bestandteil kommunikativer und künstlerischer Strategien ist) mit Elementen der Popkultur zurückgeführt. Nicht zuletzt ist es die affektive Wirkung der interaktiven Medienhybride, welche ihre Popularität und Potenz unterstützt: Meme können uns anziehen, aktivieren und affizieren, aber auch irritieren, ärgern und verstören. Sie können ein Gefühl der Verbundenheit ebenso wie der Ausgrenzung vermitteln und sind damit an der Kollektivbildung beteiligt. 

3.    Russische Propaganda-Meme

 Russische Propaganda nutzt im Internet Meme, um politischen und ideologische Ziele der Regierung zu verbreiten und zu stärken. Dies geschieht durch die Verwendung von humorvollen oder einfachen Bildern oder Videos, die oft eine politische Botschaft oder eine bestimmte Perspektive vermitteln. Die Verwendung von Memen erleichtert es, eine große Zielgruppe zu erreichen und eine Botschaft emotional ansprechend zu vermitteln.

Meme können auch dazu beitragen, eine positive Sicht auf bestimmte politische Figuren oder Regierungen zu fördern und gleichzeitig Kritiker oder andere politische Ansichten zu diskreditieren. Darüber hinaus kann die Verwendung von Memes auch dazu beitragen, falsche oder irreführende Informationen („Fake News“) zu verbreiten, um eine bestimmte Agenda zu unterstützen.

Insgesamt kann gesagt werden, dass russische Propaganda im Internet oft die Kraft von Memes nutzt, um ihre politischen Ziele und Agenda zu verbreiten und zu stärken.

 

4.    Russische Medienrezeption

Fernsehen ist das am häufigsten genutzte Medium in Russland und wird von einer breiten Bevölkerungsgruppe genutzt. Online-Medien, insbesondere soziale Medien und Nachrichtenseiten, gewinnen aber an Bedeutung und werden zunehmend genutzt, um Nachrichten und Informationen zu erhalten. Zeitungen haben in Russland eine lange Tradition und werden von einer kleineren, aber engagierten Gruppe genutzt. Rundfunk, einschließlich Radiosender und Podcasts, wird von einer kleineren Zielgruppe genutzt, hat aber auch eine treue Hörerschaft. Insgesamt bleibt das Fernsehen jedoch das am häufigsten genutzte Medium und Online-Medien gewinnen an Bedeutung.

Die Medien werden auf unterschiedliche Weise rezipiert, je nach Zielgruppe, politischer Überzeugung und Zugang zu verschiedenen Medienkanälen. Einige Merkmale der Medienrezeption in Russland sind,

Kontrolle und Beeinflussung durch den Staat: Die russische Regierung hat einen erheblichen Einfluss auf den Inhalt und die Verbreitung von Medien und nutzt diese Macht, um politische Agenden zu unterstützen und kritische Stimmen zu unterdrücken.

Propagandistische Medien: Es gibt viele staatliche Medien, die eine propagandistische Perspektive vermitteln und die Regierungspolitik unterstützen. Diese Medien werden oft von einer breiten Bevölkerungsgruppe gesehen und genutzt. 

Kritische Online-Medien: Es gibt auch eine kleinere Anzahl kritischer Online-Medien, die unabhängiger sind und eine alternative Perspektive auf politische Themen bieten. Diese Medien haben jedoch oft eine kleinere Zielgruppe und werden weniger gesehen.

Bevorzugung von Inlandsnachrichten: Die russische Bevölkerung zeigt eine Vorliebe für Nachrichten und Informationen, die sich auf das Inland beziehen, anstatt internationale Nachrichten zu verfolgen.

Im Vergleich zur westlichen Medienrezeption gibt es in Russland einen hohen Fernsehkonsum, eine starke Nachfrage nach Inlandsnachrichten sowie einen hohen Grad an staatlicher Kontrolle und Beeinflussung der Medien und, folglich, eine starke Verbreitung von propagandistischen Medien. Es gibt jedoch auch eine wachsende Zahl an kritischen Online-Medien.

  

5.     Internet: Zugänge und Perspektiven

Es gibt mehrere theoretische Zugänge zum Internet, darunter:

  1. Technischer Ansatz: Dieser Ansatz betrachtet das Internet aus einer rein technischen Perspektive und untersucht die technischen Aspekte wie Protokolle, Netzwerkarchitektur, Datenübertragung und andere ähnliche Konzepte.
  2. Soziologischer Ansatz: Dieser Ansatz betrachtet das Internet als soziales Phänomen und untersucht, wie es das soziale Verhalten, die Kommunikation und die Interaktion von Menschen beeinflusst.
  3. Kulturtheoretischer Ansatz: Dieser Ansatz betrachtet das Internet als Teil einer globalen digitalen Kultur und untersucht, wie es die Kultur, Kunst, Unterhaltung und andere Aspekte des kulturellen Lebens beeinflusst.
  4. Ökonomischer Ansatz: Dieser Ansatz betrachtet das Internet aus einer ökonomischen Perspektive und untersucht, wie es die Wirtschaft, den Handel und die Finanzen beeinflusst.
  5. Politischer Ansatz: Dieser Ansatz betrachtet das Internet als politisches Phänomen und untersucht, wie es die politische Partizipation, das politische Engagement und die politische Kommunikation beeinflusst.

Jeder dieser Ansätze bietet einen unterschiedlichen Blickwinkel auf das Internet und trägt zum umfassenden Verständnis dieser komplexen Technologie bei. 

Das "militärische" bzw. militarisierte Internet, auch als Militär-Internetzugang bezeichnet, ist ein abgeschlossenes Netzwerk, das von Regierungen und militärischen Einheiten genutzt wird. Es unterscheidet sich von dem öffentlichen Internet, indem es eine höhere Sicherheit und Kontrolle bietet. Historisch war das ARPANET (entwickelt 1969) des Pentagon das erste funktionierende Computernetzwerk, womit die technologischen Ursprünge des Webs fest mit dem Kalten Krieg verflochten sind.

Das militärische Internet ist in der Regel vollständig von den öffentlichen Netzwerken getrennt und verfügt über erweiterte Sicherheitsfunktionen, um sicherzustellen, dass vertrauliche Informationen geschützt bleiben. Diese Funktionen umfassen verschlüsselte Übertragung, Zugriffssteuerung, Überwachung und Protokollierung.

Das militärische Internet ist ein kritischer Bestandteil der militärischen Kommunikation und Operationen. Es ermöglicht es Regierungen und militärischen Einheiten, vertrauliche Informationen zu übertragen und zu speichern, und es unterstützt auch die Überwachung und Steuerung von militärischen Einheiten im Feld. Im Allgemeinen sieht das militärische Internet aus wie ein gewöhnliches Netzwerk, aber es verfügt über erhöhte Sicherheitsfunktionen und ist nur für autorisiertes Personal zugänglich. Memetische Kriegsführung durch staatliche Organisationen (“Trollarmeen”, “Social Bots”), Vorratsdatenspeicherung, Cyberangriffe mit Malware oder Viren sowie internationale Überwachungsprogramme (“Big Brother”) sind Aspekte des militärischen Internets, die in den letzten Jahren zunehmend diskutiert und kritisiert wurden. 

Das cypherpunk-utopische Internet (gebildet aus den Worten Cipher [engl. für: Chiffre], Cyber und Punk) ist ein Konzept, das in der Science-Fiction-Literatur und -filmen, aber vor allem in den 1970-80er Jahren in der Kulturwissenschaft und Informatik popularisiert wurde. Es stellt eine Vision eines Internets dar, in dem die Menschen frei und ohne Einschränkungen kommunizieren und Informationen austauschen können. Es wird oft als eine Art idealistischer Gegenentwurf zum kapitalistischen bzw. kommerziellen Internet dargestellt, bei dem Unternehmen und Regierungen eine starke Kontrolle über die Nutzung des Internets und die dort kursierenden Daten ausüben.

Das cypherpunk-utopische Internet ist gekennzeichnet durch eine hohe Dezentralisierung, Benutzerkontrolle und Anonymität. Es ermöglicht eine grenzenlose Freiheit der Meinungsäußerung und erleichtert den Informationsfluss, ohne dass Regierungen oder Unternehmen eingreifen können.

Im Gegensatz dazu kontrollieren Regierungen und Unternehmen das kapitalistische bzw. kommerzielle Internet und nutzen es, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Dies kann bedeuten, dass Inhalte zensiert oder Überwachung eingesetzt wird, um Userdaten zu sammeln und (wirtschaftlich) zu nutzen.

Das cypherpunk-utopische Internet ist ein faszinierendes Konzept, das zeigt, wie das Internet sein könnte, wenn es unter anderen Bedingungen entwickelt worden wäre. Es bleibt jedoch eine rein hypothetische Vision und es ist unwahrscheinlich, dass es jemals in der realen Welt vollständig verwirklicht wird - nicht zuletzt auch, weil dafür ein ganz anderes Verständnis von der Funktionsweise von Netzwerken sowie eine Kenntnis von Programmiersprachen notwendig wäre. Dennoch treten diverse Aktivist*innen aus dem Bereich Netzpolitik, Copyright (Open Source) und „Digital Rights“ weiterhin dafür ein (Chaos Computer Club, Electric Frontier Foundation, etc). 

 

QUELLEN & LITERATUR

Sofern nicht anders angegeben stammen die Texte auf der Karte von wikipedia.org sowie der Online-Mem-Enzyklopädie „Know Your Meme“ (knowyourmeme.com). Sie wurden von uns teilweise gekürzt, umgestellt, vereinfacht, ergänzt oder anderweitig editiert. 

Die Buchcover auf der Karte sind als Leseempfehlungen sowie als weiterführende Literatur gedacht.

Weiterführende Links:

http://internetmeme.de/

https://knowyourmeme.com/memes/events/2022-russian-invasion-of-ukraine 

https://www.merkur.de/politik/russland-ukraine-krieg-it-digitalisierung-internet-hacker-ukraine-kampf-starlink-91897333.html 

https://www1.wdr.de/nachrichten/wirtschaft/welche-rolle-das-internet-im-ukraine-konflikt-spielt-100.html

https://www.kas.de/en/web/die-politische-meinung/blog/detail/-/content/die-sozialen-medien-im-ukrainekrieg

https://kyivindependent.com/national/making-sense-of-ukrainian-memes-from-watermelons-to-saint-javelin

https://www.jetzt.de/ukraine-krieg/krieg-gegen-die-ukraine-welche-rolle-memes-spielen