Das Marxismus-Leninismus-Projekt (1954–1964)
Das Marxismus-Leninismus-Projekt bildete einen wichtigen Meilenstein in der Internationalisierung des Osteuropa-Instituts und einen bedeutenden Forschungsbeitrag. Das Projekt wurde in enger Kooperation mit den US-amerikanischen "Russian Studies" durchgeführt und untersuchte die ideelle Grundlage der osteuropäischen politischen und wirtschaftlichen Ordnungen – den Marxismus-Leninismus. Zwei Faktoren standen im Zentrum: Die Bestrebungen der deutschen Forschenden nach dem Ausbau der transatlantischen Zusammenarbeit im Bereich der Osteuropaforschung und der Wunsch, sich intellektuell mit dem Marxismus-Leninismus auseinanderzusetzen. Zugrunde lag die Annahme, das Verständnis der marxistisch-leninistischen Ideologie sei notwendig für die Analyse der Entwicklung des Ostblocks und der UdSSR. Zu den wichtigsten Protagonisten des Projekts gehörten auf deutscher Seite Werner Philipp und Hans-Joachim Lieber, während das Projekt in den USA durch die Unterstützung von Philip Mosely, Franz Neumann und Fritz Epstein ermöglicht wurde. Herbert Marcuse gab wichtige theoretische Anstöße. Die zentralen Arbeitsformen des Projekts waren regelmäßige Konferenzen, an denen Forschende aus westeuropäischen Ländern und den USA beteiligt waren. Das Projekt war letztendlich Begegnungsort für zwei gegensätzliche Ansätze: einerseits einer Vorstellung, die die Unterschiede zwischen dem Marxismus und der offiziellen sowjetischen Ideologie betonte und sich mit der Deutung der ursprünglichen Gedanken von Marx befasste, und andererseits einer Vorstellung vom sowjetischen Leninismus als einer direkten Fortsetzung des marxistischen Denkens. Das Projekt führte jedoch nicht zur Annäherung beider Denkschulen. Es zeigte vielmehr, wie schwierig es für die Osteuropaforschung war, sich unter den Bedingungen des Kalten Krieges im Spagat zwischen »Feindforschung« und »wissenschaftlicher Objektivität« zu bewegen.