Zusammenfassung: Dr. Benedikt Bender - Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat
Deutsch
Mit der Agenda 2010 und dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn wurden neue Kapitel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland aufgeschlagen, die maßgeblich mit dem Wandel des Wohlfahrtsstaates verbunden werden. Zwei konkurrierende Thesen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung nehmen besonderen Bezug auf organisierte Interessen in diesem Wandlungsprozess: Nach der Machtressourcentheorie (Korpi, Esping-Andersen) sind es Gewerkschaften und Unternehmernehmerverbände, die im Widerstreit miteinander unterschiedliche Ziele in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verfolgen. Nach der koordinierten Marktwirtschaft (Hall, Soskice) haben hingegen beide Organisationstypen in bestimmten Branchen und Sektoren gleiche Interessen und präferieren wohlfahrtsstaatlichen Ausbau. Beide Erklärungsansätze werden durch die Neo-Korporatismustheorie (Schmitter, Streeck) ergänzt und über einen Methodenmix aus qualitativer und quantitativer Inhaltsanalyse empirisch überprüft. Es werden mehr als 2.400 Pressemitteilungen aus einem Zeitraum von über vierzehn Jahren analysiert, um die Frage zu beantworten, wie sich Gewerkschaften und Unternehmerverbände zum wohlfahrtsstaatlichen Wandel positionieren. Es zeigt sich eine Koexistenz struktureller und strategischer Interessen, d. h. auf der einen Seite die Homogenität der Interessen einer Arbeitnehmer- und Kapitalseite, auf der anderen Seite aber auch situations- bzw. themenabhängige Eigeninteressen der Verbände, die von dem post-industriellen Klassenkonflikt abweichen. Insgesamt trägt die Neo-Korporatismustheorie am stärksten zum Erklärungsmodell bei, weil die gegensätzlichen Positionen umso moderater wurden, je mehr Austauschbeziehungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden vorhanden sind. Aus den Ergebnissen wird sodann eine neue Hypothese generiert, die der „Grad der präzisen Meinungsvielfalt“ genannt wird. Vereinfacht ausdrückt: Je geringer die Meinungsvielfalt ist, desto größer ist der Einfluss auf den Politikprozess.
English
In Germany, the Agenda 2010 and the statutory minimum wage have started a new chapter in labour market and social policy, which is primarily related to the welfare state change. Two competing theses of comparative welfare state research make special reference to organized interests in this process of change: According to the power resource theory (Korpi, Esping-Andersen), unions and employers' organizations pursue different goals in labour market and social policy in times of conflict. According to the coordinated market economy (Hall, Soskice), on the other hand, both types of organizations have the same interests in certain sectors and prefer expansion of the welfare state. Both explanatory approaches are complemented by neo-corporatism theory (Schmitter, Streeck) and empirically tested using a mixed-method-design from qualitative and quantitative content analysis. Over a period of fourteen years, more than 2,400 press releases have been analysed to answer the question of how unions and employers' organizations position themselves in respect to labour market and social policy reforms. The analysis show both, structural and strategic interests: on the one hand, that the trade unions and employer organisations, show relative homogeneity of interests, and on the other hand, specific or rational self-interests of each organisation. However, overall, the neo-corporatism theory has been confirmed, e.g., the more unions and employers' organizations are involved in exchange process, the more moderate the conflicting interests are. Furthermore, a new hypothesis has then been generated from the results, which is called the ‘degree of limited diversity’ and in simple terms means that the smaller the diversity of opinion, the greater the influence on the political process.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31825-3