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Rezension 62

Paul Milata: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS, Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2007 (= Studia Transylvanica Bd. 34), XII+349 S, ISBN 978-3-412-13806-6, Euro 37,90.

 

Trotz mehrerer Anläufe ist die wissenschaftliche und öffentliche Debatte über den SS-Einsatz und die Mitverantwortung rumäniendeutscher SS-Angehöriger an nationalsozialistischen Kriegsverbrechen bisher immer wieder versandet. Dabei bleibt der Dienst von über 63.000 Rumäniendeutschen in den Einheiten der Waffen-SS, den Totenkopfverbänden und den KZ-Wachmannschaften bis heute die moralisch problematischste Episode in der jüngeren Geschichte der Rumäniendeutschen.

Dass dieses Kapitel für mehr als sechs Jahrzehnte in den Schatten der Geschichte treten konnte und durch die Nachkriegserfahrungen von Deportation, Entrechtung und Auswanderung aus Rumänien überlagert wurde, hängt nur zum Teil am Widerstand der Erlebnisgeneration. Vor allem die gravierenden Forschungslücke,  das Fehlen einschlägiger Studien und gesicherter Daten, begünstigte das Aufkommen zahlreicher Mythen und Missverständnisse.

Zur ersten öffentlichen Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen rumäniendeutscher SS-Angehöriger kam es Anfang der 1980 Jahre anlässlich des gescheiterten Versuchs von Heinrich Zillich, das Andenken des rumäniendeutschen SS-Arztes Fritz Klein zu läutern.[1] Zillich war rumäniendeutscher Dichter und Publizist, bis 1937 eine der führenden literarischen Stimmen der nationalsozialistischen „Erneuerung“ in Siebenbürgen und später rumäniendeutscher Spitzenvertreter in der Bundesrepublik. Klein, Arzt im KZ Bergen-Belsen, war nach dem Krieg zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Einige wenige weitere Versuche zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte der SS-Rekrutierungen auf rumänischem Boden blieben folgenlos.[2]

Die rumäniendeutsche Auseinandersetzung mit der Mittäterschaft Rumäniendeutscher an nationalsozialistischen Verbrechen ist somit nie über jenes frühe Stadium der apologetischen Distanzierung von einzelnen „blutrünstigen Exzesstätern“ und ihren Taten gekommen.[3] In einem eindringlichen Appell an die Fachwelt machte Stefan Măzgăreanu 1995 darauf aufmerksam, dass allein schon der – damals als hoch eingeschätzte, jedoch unbekannte – Anteil an rumäniendeutschen KZ-Wächtern zu einer Neuaufnahme der Täterproblematik verpflichte.[4]

Es mag daher keineswegs verwundern, dass Paul Milatas hier zu besprechende Monographie „Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche bei der Waffen-SS“ schon früh bei der rumäniendeutschen Öffentlichkeit auf großes Interesse stieß. Milata, der selber aus Sibiu/Hermannstadt (Rumänien) stammt und zur Zeit in Berlin lebt, wurde damit 2004 an der Humboldt Universität zu Berlin promoviert.

Die meisten bisher erschienenen Rezensionen sind sich darin einig, dass Milatas Studie die erste wissenschaftlich ernst zu nehmende Untersuchung zum Thema der Rumäniendeutschen bei der Waffen-SS ist. Positiv gewertet werden vor allem sein ausgewogener Stil, sein sachlicher und differenzierter Umgang mit umstrittenen Fragen und der Verzicht auf unergiebige Polemik. Dem ist beizupflichten.

Angesichts einer solch prekären Forschungslage bleibt freilich vordergründig zu fragen, in welchem Maße Milatas Werk den entscheidenden Impetus zur öffentlichkeitswirksamen Aufarbeitung der rumäniendeutschen SS-Vergangenheit geben kann?

Zunächst ist hervorzuheben, dass Milata – im ersten Teil (Kapitel 1-6) seiner zweiteilig aufgebauten Arbeit – den ersten wirklich gelungenen Gesamteinblick in die Vorgeschichte und die geschichtlichen Begleitumstände der verschiedenen SS-Rekrutierungsaktionen von Rumäniendeutschen auf rumänischem Boden und außerhalb vermittelt, darunter: die ersten sporadischen SS-Eintritte von Rumäniendeutschen in Deutschland 1937-1939 (Kapitel 1), die für alle späteren SS-Auslandsrekrutierungen mustergültige „1000-Mann-Aktion“ (Kapitel 2), die SS-Aufnahme von übergelaufenen rumäniendeutschen Wehrpflichtigen und Stalingrad-Fahnenflüchtigen und die kleinen illegalen SS-Rekrutierungen durch die Deutsche Volksgruppe im Zeitraum 1940-1943 (Kapitel 3), schlussendlich die SS-Massenrekrutierung von 1943/44 (Kapitel 5 und 6). Die SS-Rekrutierungen im seit 1940 ungarischen Nordsiebenbürgen, unter den deutschen Umsiedlern aus Bessarabien, Bukowina und der Dobrutscha sowie unter den Deutschen im besetzen Transnistrien behandelt Milata separat in Kapitel 4.

Im zweiten Teil (Kapitel 7-9) geht Milata – erstmalig – auf das Schicksal der rumäniendeutschen Waffen-SS-Soldaten nach ihrem Abtransport aus Rumänien ein und konzentriert sich dabei besonders auf Fragen der Ausbildung, der Aufteilung auf militärische und polizeiliche Einheiten und des Einsatzes.

Bei seinen Darstellungen greift der Autor auf eine beachtliche Anzahl an – zum Teil noch nie eingesehenen – Quellen aus verschiedenen Archivbeständen in Deutschland, Rumänien, den USA und Tschechien, sowie auf Artikel aus der zeitgenössischen Presse zurück. Fast ein Novum für die rumäniendeutsche Geschichtsschreibung ist die breite Verwendung rumänischer Archivbestände, die einen detaillierten Einblick in die Perspektive der rumänischen Behörden auf rumäniendeutschen SS-Rekrutierungen ermöglicht. Gerade im Hinblick auf die Verhandlungen zum deutsch-rumänischen Waffen-SS-Abkommen von 1943 (Kapitel 5 und 6) gelingt dem Autor dadurch die Darstellung der unterschiedlichen Positionen der unmittelbar beteiligten deutschen und rumänischen Behörden einerseits, der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (DViR) und der betroffenen Rekruten und deren Familien andrerseits.

Auch methodisch sticht die Arbeit hervor: Ihr eindeutiger Schwerpunkt liegt auf der Frage nach der extrinsischen Eintrittsmotivation der insgesamt 63.500 rumäniendeutschen SS-Anwärter. Leider kommt Milata nicht über die Frage der Eintrittsmotivation hinaus. Lediglich in einem Unterkapitel (9.1.2) geht er auf die Problematik der rumäniendeutschen SS-Angehörigen in polizeiliche Funktionen ein, die als KZ-Wachpersonal im Einsatz waren und deren Zahl Milata mit etwa 2.000 angibt. Diese waren in ihrer Mehrheit (57,76%) in den Vernichtungslagern Auschwitz-Birkenau und Lublin-Majdanek stationiert. Die Frage nach dem tatsächlichen Ausmaß der rumäniendeutschen Beteiligung an der „Endlösung“ bleibt jedoch unbeantwortet.

Zentral in Milatas Studie ist die Frage nach der Freiwilligkeit des SS-Eintrittes der rumäniendeutschen Männer, bzw. nach deren Eintrittsmotivation (Kapitel 6). Letztere ist nicht nur im Bezug auf die Mitverantwortung an nationalsozialistischen Verbrechen von entscheidender Bedeutung, sondern muss gerade im Hinblick auf den mit 50.000 Anwärtern überragenden Erfolg der Massenrekrutierung von 1943 gestellt werden. Zu dem Zeitpunkt war eine deutsche Niederlage im Krieg schon abzusehen.

Bei seiner Untersuchung der lang-, mittel- und kurzfristigen geschichtlichen Ursachen für den SS-Eintritt von Rumäniendeutschen im Zeitraum 1918-1943 identifiziert der Autor mehrere entscheidende Faktoren:

  • Die zunehmende innerliche Abkehr der deutschen Minderheit vom rumänischen Staat seit den 1920er Jahren aufgrund wirtschaftlicher Diskriminierung und einer kurzsichtigen Minderheitenpolitik der Bukarester Zentralregierung bei gleichzeitiger politischer und ideologischer Hinwendung zum erstarkenden Deutschland.
  • Die starke persönliche Bindung des „Volksgruppenführers“ Andreas Schmidt an die SS:Als Schwiegersohn des Leiters des SS-Ergänzungsamtes Gottlob Berger und als Architekt der symbolträchtigen „1.000-Mann-Aktion“ brachte Schmidt die Deutschen Rumäniens in eine zunehmende Abhängigkeit zur SS und war schließlich der Garant für die erfolgreiche Durchführung der Massenrekrutierung von 1943.
  • Entgegen den Vertragsbestimmungen präsentierte die Deutsche Volksgruppe die Rekrutierung im Rahmen einer aggressiven Propagandakampagne als Aushebung, berief sich dabei auf Himmlers „völkische Wehrpflicht“ und verschwieg deren freiwilligen Charakter.
  • Antonescus Beschluss, die an der Ostfront größtenteils vernichtete rumänische Armee wiederaufzubauen und die Offensive im Osten wiederaufzunehmen, wurde angesichts schlechter Ausrüstung und geringer Kriegserfahrung allgemein mit größter Besorgnis aufgenommen. Die Angst vor der „armată“ führte geradezu in die Hände der vermeintlich elitären SS.

Nach Milata war die Eintrittsmotivation „das Ergebnis multikausaler, individueller Abwägungen für und wider die Waffen-SS“ (S. 175). Eine Vielzahl verschiedener Faktoren pragmatischer, ideologischer, kultureller, politischer und sozialer Natur bestimmten die Entscheidung für die Waffen-SS: die Hoffnung auf höhere Überlebenschancen in den deutschen Verbänden, Ressentiments gegen Romanisierungspolitik der Zwischenkriegszeit, die kooperative Haltung des rumänischen Staates, eine allgemeine Angst vor dem herannahenden Bolschewismus, innergemeinschaftlicher Druck auf die Verweigerer, finanzielle Vorteile gegenüber den Angehörigen der rumänischen Armee und die Aussicht auf Unterstützung der Angehörigen, eine noch ungebrochene Faszination für Deutschland sowie eine hohe ideologische Motivation bei der indoktrinierten Jugend.

Milata argumentiert in der Frage der Eintrittsmotivation so überzeugend für das Fehlen einer wirklichen Alternative zum SS-Eintritt, dass dadurch gerade der von ihm postulierte – in der Geschichtsauffassung der Erlebnisgeneration jedoch angefochtene – freiwillige Charakter des SS-Eintrittes der Rumäniendeutschen infrage gestellt wird. Dennoch schlussfolgert er auf Seite 297: „Die Mehrheit der 63.000 rumäniendeutschen Waffen-SS-Männer meldete sich freiwillig zu ‚den Deutschen‘“. Milata unterscheidet durchaus zwischen einer juristischen und einer tatsächlichen Freiwilligkeit, bei der sich die Person mit der Entscheidung identifiziert (S. 6). Doch erweist sich ein solches Freiwilligkeitsverständnis angesichts einer im großen Maße alternativlosen Entscheidung als schwammig. In seiner Betrachtung der Einsatzmotivation einiger KZ-Wächter und Angehöriger von Erschießungskommandos macht Milata selbst darauf aufmerksam, dass selbst beim KZ-Personal gewisse Handlungsspielräume vorhanden waren, wie z.B. die denkbare, aber unbeliebte Versetzung zur einer Fronteinheit. Nach Aussagen von Häftlingen verspürten die allerwenigsten SS-Männer den Drang, einen Befehl zu verweigern oder zu sabotieren, vielmehr gingen zahlreiche Verbrechen auf die Eigeninitiative brutaler Wachen zurück (S. 272).

Eine auffällige Korrektur gegenüber der bisherigen Forschung nimmt Milata in der Frage der Gefallenenrate vor. Diese wurde in der Literatur bisher immer mit 15% angegeben. Dem gegenüber steht das Postulat der Erlebnisgeneration von einem‚ „überdurchschnittlich hohen Blutzoll“ der rumäniendeutschen SS-Soldaten. Nach Milatas Berechnungen beträgt die Gefallenenrate 27,5%. Sie liegt damit weit höher als in der rumänischen Armee (12,23%) und geringfügig niedriger als in der Waffen-SS (31%). Neben dem unverkennbaren apologetischen Interesse gründet die Auffassung von einem „überdurchschnittlich hohen Blutzoll“ vor allem auf der Tatsache, dass die meisten rumäniendeutschen SS-Angehörigen in den letzten vier Monaten des Krieges fielen. Als Angehörige zweit- und drittklassiger Einheiten erhielten die Rumäniendeutschen in der Regel eine schlechte Ausbildung und waren bei den Einsätzen entsprechend schlecht vorbereitet.     

Die Diskrepanz zwischen vermeintlicher und tatsächlicher Todesrate in der Literatur führt Milata auf ein politisches Manöver landmannschaftlicher Kreise zurück. Deren Vertreter hätten die Verlustrate nach dem Krieg absichtlich niedriger angesetzt, um einerseits das Versagen der Volksgruppenfunktionäre und der vielen ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen in den eigenen Reihen zu kaschieren und um andrerseits – durch Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf die hohe Opferrate der rumäniendeutschen Deportierten in die Sowjetunion (damals noch auf 15-20% geschätzt) – in den Genuss bundesdeutscher Mittel für Vertriebene zu kommen. Nur hier hätte es Gründe gegeben, eine hohe Gefallenenzahl zu vermeiden. Zumindest theoretisch ließe sich die herabgesetzte Verlustrate auch als Rechtfertigung für die Absage an die gering geschätzte rumänische Armee, deren Verluste viel geringer waren, und den Eintritt in die SS verstehen. In dieser Frage besteht noch eindeutig Forschungsbedarf. 

Milatas Arbeit ist die bisher vollständigste und am besten dokumentierte Studie über die Rumäniendeutschen bei der SS  und somit eine unentbehrliche Lektüre für alle, die sich mit der rumäniendeutschen Geschichte vor und während des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzen. Milatas Beitrag zur Aufarbeitung der Täterproblematik ist hingegen im Wesentlichen ein statistischer: Daher ist eine systematische Auseinandersetzung mit der rumäniendeutschen Tatbeteiligung am Holocaust weiterhin dringend notwendig.

 

Rezensiert von Dionisie Arion (Berlin)
E-Mail: dionisie.arion@yahoo.de

 


[1] Siehe dazu: Stefan Măzgăreanu: In nationalsozialistische Verbrechen verstrickt. Anmerkungen zu einer Forschungslücke. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 18 (1995), Heft 2, S. 190.

[2] Zu erwähnen seien hier die Magisterarbeit von Hans-Werner Schuster (1986, unveröffentlicht) und entsprechende Passagen bei Johann Böhm.  Zu Böhm, siehe vor allem: Johann Böhm: Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936-1944. Das Verhältnis der Deutschen Volksgruppe zum Dritten Reich und zum rumänischen Staat sowie der interne Widerstreit zwischen den politischen Gruppen. Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M., 1985, S. 169-188. Und: Johann Böhm: Die Gleichschaltung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien und das ‚Dritte Reich‘ 1941-1944. Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M., 2003, S.279-339.

[3] Vgl. dazu: Wolfgang Gippert: Neuere Tendenzen in der NS-Täterforschung (http://www.shoa.de/content/view/594/45/)

[4] Stefan Măzgăreanu: a.a.O., S. 189-194.

 

 

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