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Dumbrava, Vasile: Sprachkonflikt und Sprachbewusstsein in der Republik Moldova. Eine empirische Studie in gemischt-ethnischen Familien. Peter Lang: Frankfurt am Main u. a. 2004.

(= Sprache, Mehrsprachigkeit und sozialer Wandel, hrsg. von Jürgen Erfurt; 4).
310 S., ISBN  3-631-50728-3, Euro 51.-

 

 

Innerhalb des seit den späten 1980er Jahren schwelenden Identitätskonfliktes in der Republik Moldova nimmt neben der Geschichte die Sprache eine herausragende Rolle ein.[1] Hierbei wird diese in verschiedene Konfliktkontexte eingefügt: einmal als Merkmal der Nation, also ob es eine moldawische Nation in der Republik Moldova und ergo eine moldawische Sprache gibt bzw. geben müsse, und einmal im Kontext von Macht und Sozialstruktur. Zum ersten Bereich, der Sprachpolitik, liegen bereits einige Studien vor.[2] Moldova, das in der Vergangenheit verschiedene Identitätsprojekte über sich ergehen lassen musste – hier sei nur auf das Projekt der „moldawischen Nation“ sowie dem „sowjetischen Menschen“ in Sowjetzeiten verwiesen – wirft aber darüber hinaus eine Reihe von Fragen für die (Sozio-)Linguistik auf. Der hohe Anteil der Russophonen von knapp 35 Prozent (im Jahr 1991) und der höchste Prozentsatz von inter-ethnischen Eheschließungen in der ehemaligen Sowjetunion zeichnen Moldova als einen wichtigen Fall in Bezug auf sog. Mischidentitäten und Mehrsprachigkeit aus.

In seiner Dissertation behandelt Vasile Dumbrava, einer der Gründer des Moldova-Instituts in Leipzig, die Situation und Identifikationen der Menschen, die in inter-ethnischen Mischehen leben, wobei er insbesondere deren Sprachgebrauch und sprachliche Identifikationen untersucht. Dumbrava hat hierzu 35 Interviews in der Republik Moldova, vor allem in der Hauptstadt Chişinău durchgeführt. Bei seinen Interviewees handelt es sich um Familien, in denen einer der Eltern rumänisch-, der andere russischsprachig ist. Gerade die Hauptstadt eignet sich für eine solche Untersuchung sehr gut: Laut statistischen Erhebungen von 1989 gehörten rund 51 Prozent der Hauptstadtbevölkerung der rumänischen (moldawischen) Nationalität an, 25 Prozent waren Russen, 14 Porzent Ukrainer, 5 Prozent Juden und knapp 5 Prozent gehörten anderen Gruppen an (21).

Der Autor untersucht die linguistische und identitäre Situation in gemischt-ethnischen Familien in den vier Kapiteln des Hauptteils seiner Arbeit anhand folgender Themen: Sprachbewusstsein, Spracheinstellung, Sprachkonflikt und Mehrsprachigkeit. Er tut dies, in seinen eigenen Worten, „in Bewegung“, also in verschiedenen sozialen Kontexten. In seiner Untersuchung zum Sprachbewusstsein verweist Dumbrava auf das Situative im Sprachgebrauch und in der Sprachaneignung. Je nach dem wie der Ausbildungsweg verläuft, ob nun beispielsweise in rumänisch- oder russischsprachigen Schulen, eignen sich die Kinder eher die eine oder die andere Sprache an. Dumbrava spricht hier davon, dass Kinder, die auf Schulen gehen, in denen sich das Rumänische auch auf dem Schulhof durchsetzt, den „Wert der rumänischen Sprache und Kultur“ kennen gelernt haben. Leider wird hier kein stärkerer Fokus auf die utilitaristischen Motive der Sprecher und die teilweise „Rumänisierung von Karrieren“ in der Republik Moldova gelegt, denn es ist ja durchaus zu erwarten, dass gerade die Kinder gemischtsprachiger Ehen sich in Hinblick auf ihre Karrierechancen rational verhalten und dementsprechend den Nutzen von Sprachen (an sich und kontextabhängig) schätzen lernen.

Im Kapitel zur Spracheinstellung kommt Dumbrava zu dem interessanten Ergebnis, dass diejenigen Sprecher, die ihre Sprache als Teil der rumänischen Sprache begreifen, meist ein äußerst negatives Bild über ihr eigenes Idiom besitzen, das sie dann als dialektale Version des Rumänischen sehen; dies geht bis zu einer Form des „sprachlichen Selbsthasses“ (62). Andere Sprecher dieser Sprache, die diese als eigenständige Sprache, d.h. als Moldawisch, verstehen, reflektierten hingegen nicht negativ über ihre eigene Sprachkompetenz. Diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, dass die Definition des Moldawischen als eigene Sprache auch eine selbstwertbezogene Identitätsoption darstellt.

In seinem Kapitel zur „Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit“ (Kap. 5) konstatiert Dumbrava, dass durch die „Aufwertung der rumänischen Sprache“ (sprich die Festschreibung des Rumänischen als alleinige Staatssprache) eine Aufwertung der Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit erfolgt sei. Mehrsprachigkeit sei heute ein erstrebenswertes Ziel für Eltern und Kindern aus gemischsprachigen Familien. Die Mehrsprachigkeit, so der Autor, werde von den Kindern solcher Familien hoch geschätzt; sie wünschten sich auch in Zukunft in mehrsprachigen Milieus zu leben.

In Bezug auf den Umgang mit Sprache in Situationen des Sprachkonfliktes beobachtet Dumbrava im Wesentlichen fünf Strategien der Sprecher: 1. Entschuldigung, 2. Prävention, 3. Offizialisierung, 4. Nichteinmischung sowie 5. Konzilianz und Hierarchisierung. Sie alle beschreiben die Optionen der Sprecher, sich in solchen Situationen entweder für ihr eigenes sprachliches Defizit zu entschuldigen (1.), dem Gegenüber beide dominanten Sprachen anzubieten (2.), „den Gebrauch der Staatssprache zu unterstützen“ (3.), zu schweigen (4.) oder durch Sprachwechsel in heiklen Situation eine Fortführung der Kommunikation zu ermöglichen (5.).

Das siebte Kapitel schließlich beleuchtet verschiedene Aspekte der Beziehung zwischen Sprache und Identität, geht aber vor allem auf den Identitätskonflikt innerhalb der rumänischen Ethnie ein. Er beobachtet hier, dass es in dieser drei Gruppen gibt: 1. eine, die das rumänistische Projekt akzeptiert, sich als Rumänen fühlt und die Vereinigung mit Rumänien wünscht; 2. eine, die sich der eigenen Identität unsicher ist und schließlich, 3., eine, die sich als Moldawier fühlt und auch dementsprechend die eigene Sprache als Moldawisch bezeichnet. Im letzten Kapitel („Andere Identitätsmerkmale“) geht Dumbrava dann noch auf den sprachlichen Umgang mit der Bezeichnungspraxis solcher identitätsstiftender Aspekte wie Vor- und Nachnamen, Straßennamen und Denkmäler ein, die alle eine Wandlung seit Ende der Sowjetunion erfahren haben.

Es ist sicherlich einer der großen Vorzüge dieses Buches, dass der Autor eine Vielzahl der Interviewtexte in Auszügen wiedergibt und damit sein Narrativ anschaulicher und aufgelockerter gestaltet. Leider allerdings bleiben die Interviews im Original, d.h. auf Rumänisch und Russisch, ohne Übersetzungen ins Deutsche. Diese eigentümliche Kombination aus Deutsch, Rumänisch und Russisch verschließt die Untersuchung einer größeren Fachöffentlichkeit, für die er durchaus interessant wäre. Gerade die wiederholt durch die Interviewpartner ausgedrückte Relativität der Sprache, je nach Situation und Kontext, ist für die Forschung wichtig; ebenso das Ergebnis, dass sich die Kinder aus Mischehen relativ fest für eine der beiden ethno-nationalen Identifikationsangebote der Eltern entscheiden und eben nicht „zwischendrin“ bleiben oder eine anders gestaltete Identifikation suchen. Leider kann man dem Autoren vorwerfen, dass viele der Diskussionen und Analysen hierzu etwas knapp und an der Oberfläche bleiben; dennoch hat er eine Grundlage für weitere Forschungen in Bezug auf die Sprachsituation in der Republik Moldova geschaffen und eine Reihe von möglichen Forschungsschwerpunkten angesprochen. Um den Verdienst von Dumbrava noch einmal zu betonen: Er gibt uns einen direkten und unmittelbaren Einblick in die Realitäten von gemischt-ethnischen Familien und ihrer Identitätspraxis.

Rezensiert von:
Stefan Ihrig (Berlin)
Email: ihrigstef@yahoo.de

 

[1] Zur Geschichte siehe: Meurs, Wim P. van: Carving a Moldavian identity out of history. Nationalities Papers 1 (1998), S. 39-56; Meurs, Wim P. van: Moldova – nationale Identität als politisches Programm. Südosteuropa-Mitteilungen 4-5 (2003), S. 31-43; Solonari, Vladimir: Narrative, identity, state – History teaching in Moldova. East European Politics and Societies 2 (2002), S. 414-445; Ihrig, Stefan: Wer sind die Moldawier? Der Identitätskonflikt zwischen Rumänismus und Moldowanismus in Historiographie und Geschichtsschulbüchern der Republik Moldova, 1991-2006. Stuttgart/Hannover (im Erscheinen 2007) [Soviet and Post-Soviet Society and Politics].

[2] U.a.: Bochmann, Klaus: „Moldauisch“ oder „Rumänisch“. Linguistische, kulturelle und politische Aspekte der Amtssprache. Der Donauraum 3/4 (1996), S. 95-102; Bochmann, Klaus: Der Name der Sprache und die wissenschaftliche Wahrheit. Ein sprachpolitischer Erlebnisbericht aus der Republik Moldova. Quo vadis, Romania? 10 (1997), S. 77-85; Erfurt, Jürgen: Sprachpolitik und Sprachpraxis in der Republik Moldova. Grenzgänge 9 (1998), S. 111-121; Heitmann, Klaus: Literatur und Politik in Moldova. Südosteuropa Mitteilungen 3 (2002), S. 29-53; Heitmann, Klaus: Limbă şi politică în Republica Moldova - Culegere de studii. Chişinău 1998; King, Charles: Linguistics, Politics, and Ethnicity in the Moldovan Soviet Socialist Republic. M.Phil. Thesis, University of Oxford 1992; King, Charles: The Politics of Language in Moldova 1924-1994. Dissertation, University of Oxford 1995; King, Charles: The politics of language in the Moldovan Soviet Socialist Republic. In: Dyer, Donald L. (Hg.): Studies in Moldovan – The History, Culture, Language and Contemporary Politics of the People of Moldova. New York/Boulder 1996, S. 111-130.

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