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Rezension 42

Rezension Nummer 42 vom 28.04.2006

 

Dan Horia Mazilu: Voievodul dincolo de sala tronului. Scene din viața privată [Der Voievode jenseits des Thronsaales. Szenen aus dem Privatleben]. Iaşi: Polirom, 2003, 622 S., ISBN 973-681-147-6; RON 33,50.

 

Rezensiert von: Peter Mario Kreuter (Bonn)

 

Alltagsgeschichte war bislang ein in der rumänischen Historiographie so gut wie unbekanntes Terrain. Hofgeschichte nicht minder. Der Bukarester Literaturwissenschaftler Dan Horia Mazilu, einer der bedeutendsten Kenner der frühen rumänischen Literatur, hat diese beiden Stiefkinder rumänischer Geschichtsschreibung nun zusammengeführt. Grundlage seiner Arbeit waren nicht nur die Werke der älteren rumänischen Literatur, sondern auch die Reiseaufzeichnungen ausländischer Würdenträger sowie, soweit überhaupt vorhanden, Arbeiten aus dem Umfeld der Mentalitätsgeschichte. Das Resultat von Mazilus Arbeit kann sich sehen lassen, auch wenn es ein Wenig zu kritisieren gibt.

Doch beginnen wir mit den positiven Aspekten. Obwohl sich Mazilu dagegen verwahrt, Alltagsgeschichte schreiben zu wollen, ist sein Werk diesem Zweig der Historiographie zuzurechnen. Nicht die Haupt- und Staatsaktionen interessieren ihn, sondern das private Leben der moldauischen und walachischen Herrscher, wobei der zeitliche Rahmen ein gewaltiger ist, umfasst er doch rund fünf Jahrhunderte von der Mitte des 14. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Auch das thematische Spektrum des Bandes ist Ehrfurcht gebietend, denn es erstreckt sich von der Residenzortgeschichte über prosopographische Ansätze bis hin zu Familien- und Geschlechterforschung. Dabei strebt Mazilu keine geschlossene und systematische Darstellung an, sondern er verbindet vielmehr einzelne, ausgewählte Aspekte und „Szenen aus dem Privatleben“ miteinander, so dass jedes Kapitel für sich gelesen werden kann, ohne dass dies dem Verständnis abträglich wäre. Manche Kapitel sind eher traditionellen Themenkomplexen gewidmet, so der architekturhistorische Abschnitt im allgemeinhistorischen Kapitel (S. 43-55), welcher mit „Bucuria de a zidi [Die Freude am Bauen]“ überschrieben ist und gängigen Mustern der Kunstgeschichtsschreibung entspricht. Weitaus interessanter sind Kapitel und Abschnitte, die für die rumänische Historiographie wenn schon nicht Neuland betreten, so doch zumindest bislang oberflächlich behandelten Fragestellungen einiges an Tiefe zu geben vermögen. So werden die Frauen an den fürstlichen Höfen nicht nur mit einem eigenen Abschnitt (S. 407-426) im Kapitel „Familia“ bedacht, sondern treten immer wieder in verschiedenen Kapiteln ins Zentrum der Betrachtung. Ebenfalls im Fokus seines Interesses stehen die Kinder sowie die Ausbildung des Thronfolgers, wobei er hier zwar auch auf Învățăturile lui Neagoe Basarab către fiul său Theodosie [„Die Lehren des Neagoe Basarab an seinen Sohn Theodosios“] und ihre Entstehung eingeht, sich dann aber ausführlich dem langen Nachleben dieser Schrift widmet (S. 456-460). Dieses Vorgehen, nämlich einen bekannten Text zum Ausgangspunkt zu nehmen, um von hier aus seine Betrachtungen zu beginnen, ist typisch für Mazilus Herangehensweise an sein Thema.

Ganz besonders positiv zu würdigen sind Mazilus Ausführungen über sehr intime Bereiche des Hoflebens, so über Krankheit am Fürstenhof (S. 334-343), über den Gebrauch von Bädern (S. 74 f.) und Toiletten (S. 76 f.) sowie über die Sexualität (S. 488-506), alles Bereiche, denen in der bisherigen rumänischen Forschung gar keine Aufmerksamkeit gewidmet worden war. Dass der Abschnitt über Homosexualität am Fürstenhof (S. 494-496) mit „Perverşii [Die Perversen]“ überschrieben ist, muss kritisch gesehen werden. Dass er überhaupt existiert und im Text selbst neutral gehalten wurde, ist Mazilu hoch anzurechnen.

Leider gibt es auch negative Aspekte, die vermerkt werden müssen. Diese betreffen nicht den Inhalt, sondern den Stil des Werks. Mazilus Sprache ist verquast, er neigt zu regelrechten Satzungetümen, die zu allem Überfluss häufig durch längere, in Klammern gesetzte Einschübe unterbrochen werden, Einschübe, die ihrerseits oftmals ganze Sätze beinhalten, welche der Struktur des eigentlichen Satzes zuwiderlaufen. Dieses macht die Lektüre wenig erquicklich, und namentlich ein Leser, der das Rumänische nicht als Muttersprachler beherrscht, wird davon rasch frustriert sein. Ist das Inhaltsverzeichnis durch seine feine Unterteilung noch eine große Hilfe, um sich in diesem über 600 Seiten starken Opus zurechtzufinden, so ist der kritische Apparat sehr unvollkommen. Zwar gibt es ein brauchbares Register der Personennamen, doch keines für Sachen oder Orte. Außerordentlich ärgerlich ist das Fehlen einer Bibliographie, so dass sich der Leser mit den Endnoten eines jeden Kapitels zufriedengeben muss, die aber vor „ibidem“ und „op. cit.“ regelrecht wimmeln. Gerade bei der Suche nach einem bestimmten Werk aus der Feder eines Autors mit umfangreicher Forschungstätigkeit wie Nicolae Iorga wird die Geduld des Lesers auf eine harte Probe gestellt. Und zumindest den Abschnitten, die sich mit Architektur, Kunst und Bekleidung beschäftigen, hätte eine angemessene Bebilderung gut getan.

Dennoch ist ein insgesamt positives Fazit zu ziehen. Dan Horia Mazilu hat zwar keine in sich geschlossene Forschungsarbeit, geschweige denn eine Spezialstudie zur rumänischen Hofkultur vorgelegt, doch bietet er auf jeden Fall eine Vielzahl von Szenen und Beschreibungen des Lebens am walachischen und moldauischen Fürstenhof, die in dieser Gestalt noch nie verfasst worden sind. Dass die einzelnen Kapitel nur sehr locker miteinander verbunden sind, tut dem Werk keinen Abbruch. Für einzelne Bereiche hat Mazilu schließlich die ersten Überblicksdarstellungen überhaupt geschrieben.

 

 

Rezensiert von Peter Mario Kreuter

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