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Rezension 37

Rezension Nummer 37 vom 14.02.2006

 

Sebastian Balta: Rumänien und die Großmächte in der Ära Antonescu (1940–1944). Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 69), 540 S., ISBN 3515087443; Euro 79.-

 

Rezensiert von: Dietmar Müller (Bonn)

 

Die vorliegende Monografie wurde Anfang 2004 als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn angenommen. Es handelt sich um eine Quellen basierte, ungemein faktenreiche Politik-, Militär- und Diplomatiegeschichte Rumäniens im Zweiten Weltkrieg.

Das aus der modernen politischen Geschichte abgeleitete Ziel, „andere relevante gesellschaftliche Akteure“ in die Analyse mit einzubeziehen, um der „Verschränkung von Politik und Gesellschaft“ (S. 31) Rechnung zu tragen, erreicht der Autor aber nur punktuell. Die Darlegung des Materials ist vielmehr um das Handeln von Personen organisiert, deren Handlungsspielräume in Wechselwirkung zwischen inneren Bedingungen und äußeren Beschränkungen dargestellt werden. Wenn aber weder eine soziologisch informierte Analyse der handelnden Personen und involvierten Institutionen stattfindet, noch der Versuch unternommen wird, die Einstellung der Bevölkerung zu einigen der verhandelten Themen mit kulturgeschichtlichen Methoden zu erfassen, muss der Anspruch der Arbeit bescheiden bleiben: „Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse gilt es schließlich zu beurteilen, ob die Mittel der politischen Führung geeignet waren, die verfolgten Ziele zu erreichen, und ob diese wiederum den Interessen des Landes verpflichtet waren“ (S. 31).

Nach einem auf den Werdegang von Ion Antonescu konzentrierten Abriss rumänischer Innen- und Außenpolitik von der Entstehung Großrumäniens 1916/18 bis zu seinem Zusammenbruch 1940 (Kap. 1) beschreibt Balta das nationallegionäre Regime und die Eingliederung des Landes in die Achse (Kap. 2). Die weiteren Kapitel 3 bis 9 sind entlang folgender Fragestellungen und Themen gegliedert: Welche politischen Ziele verfolgte Antonescu mit dem Kriegseintritt auf Seiten der Achse gegen die Sowjetunion, und – etwa nach Stalingrad – welche Ziele verfolgten er, das Königshaus und verschiedene politische Gruppierungen mit dem Versuch des Kriegsaustritts? Davon abgeleitet werden die wirtschaftlichen Vereinbarungen mit dem Dritten Reich, die militärischen Aspekte der Kriegsführung, die diplomatischen Beziehungen zu Ungarn und zu Italien sowie die Versuche behandelt, die „jüdische Frage“ in Rumänien zu lösen.

Aus unveröffentlichten bzw. rezent veröffentlichten Quellen arbeitet Balta klar heraus, in welch hohem Ausmaß die rumänische Außen- und Kriegspolitik von dem Versuch bestimmt war, die im Wiener Diktat an die Sowjetunion und Ungarn verlorenen Gebiete Bessarabien, Nordbukowina und Nordsiebenbürgen wiederzugewinnen. So versuchte Antonescu, die Ausgangsposition Rumäniens für den Tag, an dem die territoriale Nachkriegordnung zur Debatte stünde, dadurch zu stärken, dass er sich vergeblich um eine Beteiligung rumänischer Truppen am Angriff auf Griechenland und Jugoslawien bemühte. Dies könnte man als einen, vom Deutschen Reich geförderten Wettlauf mit Ungarn um den größeren Diensteifer im Wettbewerb um Siebenbürgen bezeichnen. Während der Kriegseintritt Rumäniens gegen die Sowjetunion mit dem Recht, Bessarabien zurück zu erobern, legitimiert wurde, interpretiert Balta das rumänische Vorrücken über die Grenzen dieser Provinz hinaus bis hin zum Kaukasus und nach Stalingrad ebenfalls im ungarisch-rumänischen Zusammenhang. Dies aber – analog zu den Aussagen Antonescus bzw. seines wichtigsten Mitarbeiters Mihai Antonescu – ausschließlich als außenpolitische und militärische Notwendigkeit zu sehen, kommt einer Unterschätzung des anti-bolschwistischen Moments in der Kriegspropaganda und -motivation des Antonescu-Regimes gleich.

Eine ähnliche – vom Autor nicht intendierte, aber sich aus der Art der Darstellung ergebende – Perspektivenverengung ergibt sich auch bei dem Thema Judenpolitik in der Ära Antonescu. Verteilt auf vier Kleinkapitel werden deren Wendungen von „Antonescus Überlegungen zu einer ‚ethnischen Säuberung‛“ über den „Vernichtungsfeldzug gegen die Juden in den wiedereroberten Moldauprovinzen und in Transnistrien“ bis hin zum „Scheitern der deutschen Pläne zur Deportation der altrumänischen Juden in die polnischen Vernichtungslager“ und zur „Wende in der Judenpolitik“ in chronologischer Reihenfolge beschrieben. Es mag stimmen, dass sich die konkreten Wendungen aus der jeweiligen Kriegslage ergaben, die Phänomenologie und Einordnung der Antonescu’schen Judenpolitik in die Geschichte des rumänischen Antisemitismus kann aber durch einen deskriptiven Zugriff alleine nicht geleistet werden.

Ein stärker thematischer und die Chronologie der Ereignisse durchbrechender Zugriff auf die präsentierten Themen hätte der Ordnung und Präsentation des reichen Materials sehr gedient. So verlieren sich die neuen Befunde in der Masse des Textes, zumal nur in den seltensten Fällen eine explizite Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand und mit populären Antonescu-Mythen stattfindet. Das forschungsleitende Interesse Baltas scheint aber gerade durch die politischen und historiografischen Versuche im post-kommunistischen Rumänien, Antonescu zu rehabilitieren, motiviert gewesen zu sein, wie in seiner umfänglichen Einleitung deutlich wird, in der er solche Bestrebungen deutlich kritisiert. In seiner Schlussbemerkung formuliert Balta als Fazit seiner Arbeit: „Während sein [Antonescus] Ziel, die Grenzen Großrumäniens wiederherzustellen, als patriotisch empfunden werden mag, können die Mittel, die Antonescu dafür einsetzte, nur als ungeeignet und unzulässig und die dargebrachten Opfer als völlig unverhältnismäßig eingeschätzt werden.“ „[S]o war und blieb Antonescu ein Kriegsverbrecher und jenseits aller Möglichkeit zur Rehabilitierung“ (S. 495f.). Abschließend soll noch auf eine Marginalie hingedeutet werden, die aber die Unübersichtlichkeit der Materialmasse herausstreicht, nämlich die stellenweise unkritische Benützung von Quellenbegriffen: „Balkanisierte Demokratie“ (S. 50), Wiener „Schiedsspruch“ und „Volksdeutsche“ (S. 76).

Abgerundet wird das Buch durch eine Karte Rumäniens 1940/41, eine Ortsnamenkonkordanz, ein Abkürzungsverzeichnis, ein Verzeichnis der umfänglichen unveröffentlichten Quellen und Sekundärliteratur sowie ein Personenregister.

 

 

Rezensiert von Dietmar Müller

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