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Rezension 25

Rezension Nummer 25 vom 04.03.2005

 

Ağuiçenoğlu, Hüseyin: Die Turko-Tatarische Presse der Dobrudscha 1897-1940. Annotierter Katalog. 
Unter Verwendung der Vorarbeiten von Volker Adam. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2004. Heidelberger Studien zur Geschichte und Kultur des modernen Vorderen Orients; 31], 252 S.+VI S., zahlr. Abbildungen; ISBN:3-631-52602-4; Euro 45,50.-

 

Rezensiert von: Stefan Ihrig (Berlin)

 

Das vorliegende Werk von Hüseyin Ağuiçenoğlu – Dozent an den Universitäten Heidelberg (Islamwissenschaft) und Bamberg (Iranistik) – stellt in detaillierter Form die dobrudschatürkische Presse in der post-osmanischen Zeit vor. Zugleich dokumentiert es ein sehr wertvolles DFG-Projekt an der Universität Heidelberg, in dessen Rahmen alle auffindbaren Exemplare der hier vorgestellten Zeitungen auf Mikrofilm abgelichtet wurden und nun der Forschung in einer zweiten, abgesicherten Form zur Verfügung stehen.

Die Dobrudscha wurde mit dem Berliner Vertrag (1878) teilweise und nach 1913 bzw. 1918/1919 vollständig Teil Rumäniens (bis zum Verlust der südlichen Dobrudscha an Bulgarien 1940). Ağuiçenoğlu teilt die untersuchte Zeit in drei Phasen ein:(1) Die erste von 1897 bis 1908, die zweite von 1909 bis 1918 und die dritte schließlich von 1919-1940. Der Beginn der ersten Phase wird durch das Erscheinen der Zeitung Sedakat markiert, während die jungtürkische Revolution den Beginn der zweiten kennzeichnet. Bis 1908 ist die Presse, so der Autor, von den osmanischen „Zerfallserscheinungen“ geprägt, während in der zweiten Phase eine gewisse Aufbruchsstimmung in Bezug auf die inner-osmanischen Ereignisse zu diagnostizieren sei. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Einstellen der letzten Zeitung Emel 1940 kann man in der dritten Phase die regste Publikationstätigkeit beobachten, hier wurden von den insgesamt in diese Untersuchung fallenden 25 Zeitungen 18 veröffentlicht. Die Ausdifferenzierung der Blätter und ihrer Inhalte in der dritten Phase spiegelt, so Ağuiçenoğlu, die Fragmentierung der muslimischen Gemeinschaft in der Dobrudscha in diesem Zeitraum direkt wieder.

Insgesamt ist für eine muslimische Bevölkerung von ca. 60.000 im Jahr 1878 und ca. 170.000 Anfang der Dreißiger die hier dokumentierte Publikationstätigkeit sicherlich beeindruckend. Allerdings erschienen viele der aufgeführten Zeitungen lediglich über kurze Zeit. Ferner ist für die Zwischenkriegszeit anzumerken, dass viele Zeitungen auf Initiative der rumänischen Regierung hin gegründet wurden, um mit diesen Publikationen die muslimische Bevölkerung für den groß-rumänischen Staat zu gewinnen. In dieser Zeit kommt nun erstmals auch die rumänische Sprache in den Blättern zum Einsatz. Viele der hier untersuchten Zeitungen erschienen (bis in die Zwischenkriegszeit hinein) auf Osmanisch, einige sowohl auf Osmanisch als auch auf Türkeitürkisch, andere lediglich im neuen Türkisch und wiederum einige in Kombination mit dem Rumänischen oder in einem Fall mit dem Bulgarischen.

Der vorliegende Katalog stellt jede Zeitung auf sechs bis zwölf Seiten vor. Hier werden Informationen zum Erscheinungszeitraum, zum Umfang, dem Erscheinungsort (mit Adresse!), dem Preis, den benutzten Sprachen, den Mitarbeitern, aber auch zu den Inhalten der Leitartikel, des Feuilletons, der Nachrichten und der anderen Rubriken gegeben. Jede Präsentation beinhaltet ferner einen übersetzten Artikel, in dem sich die jeweilige Zeitung selbst ihren Lesern vorgestellt hatte. Abgerundet wird jede Einheit mit dem Faksimile einer Titelseite.

Die detaillierten Angaben in den verschiedenen Abschnitten zu jeder Zeitung machen das Werk über seinen Charakter als Nachschlagewerk hinaus interessant. Der uns vom Autor versprochenen Inhaltsanalyse vorweggreifend,(2) gibt dieser Katalog dem Leser Aufschluss darüber mit welchen Themen sich die Muslime der Dobrudscha in der post-imperialen Zeit auseinandersetzten. Die diskutierten Zeitungen zeigen auch wie stark die Vernetzung mit anderen Teilen des ehemaligen gemeinsamen Reiches noch in der Folgezeit war – die im Katalog erwähnten Leserbriefe aus Kairo oder Istanbul verdeutlichen dies eindringlich. Ferner zeigt gerade die Publikationstätigkeit in der Zwischenkriegszeit, dass erst zu diesem Zeitpunkt die Muslime von der rumänischen Gesellschaft richtig wahrgenommen werden – sei es als Wähler, die es politisch zu umwerben gilt oder als Kunden, die man mit Anzeigen interessieren möchte.

Gerade die Angaben zu den Mitarbeitern sind sicherlich eine Fundgrube für solche, die sich mit den Führungspersönlichkeiten und der politischen Situation dieser Minderheiten in der Dobrudscha beschäftigen möchten. Als einen besonders wichtigen Zeitungs-Herausgeber sei auf den nach Rumänien geflüchteten Jungtürken İbrahim Temo verwiesen. Viele der hier erwähnten Artikel eignen sich sicherlich als interessante Quellen, um sich über den geistigen und sozialen Zustand der ehemals staatstragenden Gruppe von Muslimen in ihrer neuen Situation ein Bild zu machen. Themen, die mit den im Katalog erwähnten Titeln angesprochen werden sind u.a. die Beziehung zur neuen Türkei, die Frage nach einer möglichen Auswanderung und den Beziehungen zu anderen Muslimen außerhalb der neuen Türkei bzw. des zerfallenden Osmanischen Reiches, wie beispielsweise den Krimtataren

Abschließend sei angemerkt, dass dem Verfasser mit diesem Katalog ein Werk gelungen ist, das über seinen Wert als Handbuch für die vorgestellten Zeitungen hinaus eine für diese Textgattung überraschend interessante Lektüre ist. Leider allerdings sind viele der Zitate aus den Zeitungen im Fussnotentext nicht übersetzt, so dass sie dem Leser, der des Osmanischen und des Türkeitürkischen nicht mächtig ist, verschlossen bleiben. Auf jeden Fall aber darf man der von Ağuiçenoğlu angekündigten Inhaltsanalyse dieser Zeitungen mit Spannung entgegensehen.

 

Anmerkungen:

(1) Er modifiziert hier die Einteilung von Alexandre Popovic (ders.: La presse turque (et tatare) de Roumanie (1888-1940). in: Calyer, Nathalie et al. (Hg.): Presse turque et presse en Turquie. Istanbul u.a. 1992, S. 221-248).

 

(2) Der Arbeitstitel von Hüseyin Ağuiçenoğlus Habilitationsprojekt ist: „Türkische Stimmen von jenseits des Mutterlandes. Die Presse der Dobrudscha und der türkischen Zyprioten in post-osmanischer Zeit (1891-1940).“

 

Stefan Ihrig

 

Redaktion: Ulf Brunnbauer

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