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Rezension 17

Rezension Nummer 17 vom 23.06.2004

Panagiotis G. Papadimitriou, Oi Pomakoi tis Rodopis. Apo tis ethnotikes sxeseis stous Balkanikous ethnikismus (1870-1990) [Die Pomaken der Rhodopen. Von den ethnischen Beziehungen zu den Balkannationalismen (1870-1990)]. Thessaloniki: Kyriakidis, 2003, 232 S., ISBN 960-343-710-7, € 13,52.-

Παναγιώτης Γ. Παπαδημητίου: Οι Πομάκοι της Ροδόπης. Από τις εθνοτικές σχέσεις στους Βαλκανικούς Εθνικισμούς (1870-1990)

Εκδ. Οίκος Αδελφών Κυριακίδη α.ε. Θεσσαλoνίκη.

 

Rezensiert von: Sevasti Trubeta (Berlin)

 

Die Begründung nationalistischer Interessen durch und die Projektion zwischenstaatlicher Konflikte auf die Bevölkerungsverhältnisse waren das Geburtsmoment der „Pomakenforschung“ und ihre eigentliche Triebkraft für längere Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, sowohl in Bulgarien als auch in Griechenland. In den 1990er Jahren und im Zeichen eines politischen Geistes, den die Umwälzungen in Ost- und Südosteuropa hervorriefen, zeichnen sich neue Tendenzen in der Pomakenforschung als Teilaspekt eines umfassenderen Minderheitendiskurses aus. In dem griechischen Fall hat die weitgehend rezipierte konstruktivistische Sicht sowie der Fokus auf das Begriffspaar „Wir vs. Andern“ zumindest die Selbstverständlichkeit der nationalen Prämisse in Schwanken gebracht. Ferner erzielte eine neue Generation von Forschern mit dem interdisziplinären Zugang zur Minderheitenproblematik bemerkenswerte Ergebnisse sowohl im analytisch-methodologischen Sinne als auch hinsichtlich des Gewinns neuer Kenntnisse.1) Zugleich ist aber auch ein breiter Rahmen für das „politisch Korrekte“ (das sich ferner in eine mainstream-Terminologie niedergeschlagen hat) aufgezeichnet worden, innerhalb dessen unterschiedlich kritische Einstellungen gegenüber „nationalen Belangen“ koexistieren können.

Das Buch von Papadimitriou scheint inmitten diverser Tendenzen zu stehen, ihre Einflüsse aufzunehmen und all dies in einen Ansatz integrieren zu versuchen. Es widmet sich der Pomakenproblematik und stellt insofern ein Novum dar, als es auf die Pomaken der Gesamtrhodopen fokussiert und die Erforschung ihrer „kollektiven Identität“ und deren Transformation in dem breiten Zeitraum von 1870 bis 1990 unternimmt.

Das Buch ist in drei Hauptkapitel gegliedert: Im ersten Kapitel („Die Pomaken der Rhodopen und ihre Ethnizität“, S. 31–67) geht der Autor auf die „Rhodopen, ihre Bewohner und deren „kollektive Identitäten“ in der spätosmanischen Zeit sowie auf deren „ethnisches Erbe“ ein. Das zweite Kapitel („Der Ansturm des Nationalismus. Politisch-militärische Antagonismen und der Übergang zu den Nationalstaaten“, S. 71–157) erfasst den Zeitraum von der bulgarischen Nationalbewegung, den Balkankriegen (1870–1912) bis zur Pariser Friedenskonferenz (1946). Das dritte Kapitel („Nationalismus und nationale Gemeinschaften. Neubestimmung der Identität der Pomaken: Ideologische und institutionelle Aspekte“, S. 161–209) widmet sich der „Konstruktion der türkisch nationalen Identität“ (unter den Pomaken) und der institutionellen Praktiken des griechischen und bulgarischen Staates gegenüber den Pomaken und diskutiert anschließend die Formierung von drei nationalen Narrationen.

Der zentrale Ansatz, dessen Gültigkeit im Falle der Pomaken überprüft werden soll, sei aus der „allgemeinen Feststellung der zeitgenössischen Forschung“ hergeleitet, nämlich dass „die Umsetzung der Ideologie des Nationalismus auf dem Balkan und der darauf folgende Prozess der Konstitution von Nationen und Nationalstaaten das präexistente Kulturerbe und die kollektiven Identitäten der Bevölkerungen auf dem Balkan transformierte, indem sie ihre sozialen, wirtschaftlichen und materiellen Gegebenheiten umwandelte“ (S. 9). Im Einzelnen beabsichtigt der Autor auf folgende drei Fragen einzugehen: Welche sind die existenten Muster der sozioökonomischen Verhältnisse und der kollektiven Identitäten der Pomaken und wie wurden diese durch den Nationalismus und die Konstitution der Nationen und Nationalstaaten in der Region umgewandelt? Welche Mechanismen und welche Aspekte des Nationalismus wurden in diesem Prozess aktiviert? In welchem historischen Rahmen vollzog sich dieser Prozess? (S. 9)

Es fällt eigentlich schwer, eine Entscheidung darüber zu treffen, wie dieses Buch zu lesen ist, denn der Autor lässt weder von seinem fachlichen Hintergrund noch von dem Anlass der Durchführung seiner Studie wissen. Der Text ist stark an historische Ereignisse des 19. und 20. Jh.s orientiert, wenngleich sozialwissenschaftliche Begriffe in einem einführenden Abschnitt thematisiert werden („Grundlegende Analysebegriffe und theoretische Ansätze“, S. 13–27).

In methodologischer Hinsicht nimmt der Autor eine Analyse auf der Makroebene vor, die durch seine eigentliche Arbeitsmethode, die Quellenanalyse, bedingt sei (S. 10). Dennoch bezieht er sich abermalig auf Kenntnisse gewonnen durch „eigene empirische Feldforschung“ (z.B. S. 44, FN 69, S. 48, S. 186). Bei Aussagen über die Sprache der Pomaken verweist er ebenfalls auf „vor Ort Untersuchung“ (S. 45), was sprachwissenschaftliche Kompetenz, oder mindestens das Beherrschen slawischer Sprache(n) annehmen lässt.

Die Quellen, auf welchen Papadimitriou seine Studie aufbaut, sind z.T. unveröffentlicht. Bei den veröffentlichten Quellen handelt es teilweise um bulgarische Dokumente, mit welchen die griechische Leserschaft sinnvollerweise vertraut gemacht wird. Es wird jedoch nicht zwischen veröffentlichten und nicht veröffentlichten Quellen differenziert, so dass nur ein Vergleich mit früheren Studien, die neuen Kenntnisse, die Papadimitrious Forschung vermittelt, veranschaulichen kann. Dabei wäre die komparative Lektüre mit der Studie von Kostis Tsioumis aufschlussreich.2) Der Bezug auf statistische Daten erweist sich im Papadimitrious Buch ohnehin problematisch, denn das griechische Statistische Amt veröffentlich seit den 1950er Jahren keine Zahlen zu Minderheiten. Dennoch führt Papadimitriou Zahlen mit Bezug auf die Volkszählung von 1991 auf, ohne jedoch auf die Quelle zu verweisen (S. 36).

Die Lektüre des Textes erweist sich als keine leichte Angelegenheit, zumal inhaltliche Widersprüche, eine häufig problematische Interpretation historischer Ereignisse sowie die mangelnde Reflexion von Informationen aus Sekundärquellen den Text durchdringen. Aber auch die unzulängliche Systematisierung des Materials erschwert die Lektüre, denn sämtliche Informationen aus unterschiedlichen Kontexten (betreffend historische Ereignisse, Formen sozialer Organisation, v.a. die unnötige Ausführung trivialer historischer Informationen und administrativer Details) dicht nebeneinander aufgeführt werden, so dass auf die Leser/Innen die mühsame Aufgabe zukommt, all diese Informationen in die unterschiedlichen Kontexte einzuordnen und oft die Verbindung zur Pomakenproblematik herzustellen, denn der Fokus konzentriert sich häufig auf die historischen Ereignisse an sich, wobei die Pomaken nur sporadisch und am Rande vorkommen.

Beim Beginn seiner Studie weist Papadimitriou auf den problematischen Charakter des Begriffs „Pomaken“ als einer kollektiven Fremdzuschreibungskategorie hin. Es seien die Quellen, die seit der Mitte des 19. Jh.s die Pomaken „essentialisieren“, indem sie als eine homogene Gruppe auf der Basis phänomenologischer Charakteristika betrachten (S. 10). Von daher leuchtet Papadimitrious Intention ein, den Terminus „Pomaken“ konventionell im Sinne der Fremdwahrnehmung zu verwenden, ohne jedoch diese These zu seiner eigenen zu machen (ebd.). Seine zentrale Kritik gilt dem statischen Charakter einer solchen Fremdwahrnehmung, die das Selbstverständnis der Betreffenden kaum hinterfragt, zumal wenn die von außen definierten „ethnischen Indikatoren“ von den Pomaken selbst „kaum Akzeptanz finden“ (S. 37). Mit dem Blick auf den griechischen Diskurs erkennt Papadimitriou Inkonsistenz bei dem konstruierten Fremdbild, da die von Außen festgelegten Definitionszüge durch die Lebensführung der Pomaken widerlegt werden: Angebliche „biologische Kontinuität“ kann im Zuge der zunehmenden Eheschließungen außerhalb der eigenen Gruppe kaum begründet werden (S. 37ff.). Die Sprache als zentrales „ethnische Element“ kommt mittlerweile kaum in Frage, aufgrund der realen Mehrsprachigkeit mit allmählichem Verzicht auf das Pomakische zugunsten des Griechischen und des Türkischen. Der Aspekt der Herkunft bzw. Abstammung als kollektiver Selbstdeutungsindikator verliert allmählich an Relevanz, angesichts der Konfusion, welche die rivalisierenden Nationalnarrationen verursacht haben (S. 38). Diese Ausführungen bekräftigen seine zentralen Hypothesen, nämlich, dass die Selbstbilder der Pomaken sich in einem Transformationsprozess befinden, der mit deren ebenfalls in Transformation befindenden sozialen Rahmenbedingungen Schritt hält, sowie dass die Pomaken zu einem Drei-Staaten-Konfliktobjekt geworden seien und infolge dessen durch den jeweiligen Nationaldiskurs angeeignet und instrumentalisiert werden.

Dieser Ansatz ist ein vielversprechender Start für ein ambitioniertes Unternehmen, nämlich, die Erforschung eines komplexen Themas in einem erheblichen historischen Raum, wie die Gesamtrhodopen, in einem breiten historischen Zeitraum, und all dies – wie der einführende Abschnitt andeutet – jenseits nationalistischer Intentionen und folkloristischer Ansichten. Dennoch erlangen diese Äußerungen im Fluss des Textes einen schlicht rhetorischen Wert, um bald in die Vergessenheit zu geraten.

In Papadimitrious Erforschung der „kollektiven Identität“ bleiben die Pomaken diachronisch und raumübergreifend zweier Aspekte gefangen: der Rhodopen und ihres Glaubenbekenntnisses. Der Verfasser hat die Pomaken für immer in der Rhodoperegionen verortet, zum Trotz sämtlicher Mobilitätsphänomene. Die Akzentuierung der These, die „Mehrzahl der pomakischen Bevölkerung sowohl Bulgariens als auch Griechenlands [sei] nicht urban“ (S. 42) entzieht der seit Jahrzehnten laufenden Mobilität die Dynamik. Die wiederum an anderen Stellen erwähnten (z.B. S. 43) Landflucht-, Urbanisierungs- und Auswanderungsbewegungen – all diese noch laufenden Entwicklungen, welche die pomakischen Gemeinden sowohl in Griechenland als auch in Bulgarien spätestens seit den 1980er Jahren in Hinsicht ihrer Organisationsmuster und gar ihres Bestehens betrafen – werden bei der Darstellung der sozialen Organisation ausgeblendet.3)

Der Autor hinterfragt nicht die „kollektive Identität“ der Pomaken – er geht von ihrer Realität aus und macht leichtfertig aus Indizien Zeugnisse. Seiner Ansicht nach, teilten die pomakischen Bewohner, zumindest der Mittelrhodopen, die Empfindung der Zusammengehörigkeit bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jh.s hinein (S. 48). Dies bezeuge sowohl die Erinnerung älterer pomakischen Einwohner von Xanthi (im griechischen Thrakien) an früheren Austausch oder sogar Verwandtschaft mit Pomaken aus dem heutigen bulgarischen Territorium als auch mündlich überlieferte Gedichte, in denen der Raum des künstlerischen Akts – laut Auskunft von älteren befragten Pomaken – im heutigen Bulgarien behauptet werde. Übersieht man zunächst die fragwürdige Zuverlässigkeit der Volkslieder als Informationsquelle (die Frage der gemeinsamen Motive in den Volksliedern mehrerer Balkanländer beschäftigt die Forschung seit geraumer Zeit), so kann man kaum die argumentative Leichtfertigkeit bezüglich früherer Verwandtschaftsverhältnisse unter Pomaken aus dem heutigen bulgarischen und griechischen Territorium übersehen. Die Analyse solcher Verhältnisse wäre ein echter Beitrag einer Studie, die jedenfalls mindestens solche Faktoren berücksichtigen sollte, wie die Umsiedlung der pomakischen Grenzbevölkerung Bulgariens, welche die Spuren eines solchen Austausches verwischt hat; oder dass bei den Heiratsstrategien der Pomaken zuerst die Dorfgemeinschaft und dann die Siedlungsnähe in Frage kamen.4)

Papadimitriou begründet seine These über die kollektive Selbstdeutung der Pomaken durch die Behauptung deren Zusammengehörigkeitsempfindung, die auf das Glaubensbekenntnis zurückzuführen sei. Der Islam, der alle Gläubige in einer imaginären Gemeinschaft einige, stehe im Falle der Pomaken für das ausschlaggebende Prinzip der Gemeinschaftskonstitution und deren Fortbestehen ungeachtet von Zeit und Raum (also noch heute, S. 187). Aus der historischen Perspektive betrachtet (in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s) stelle „die muslimische Bevölkerung der Rhodopen, eben wie die übrigen muslimischen Untertanen auf dem Land eine geschlossene traditionelle Gemeinschaft“ dar (S. 54). In dieser „imaginären Gemeinschaft“ (ebd.) vereinen sich die Pomaken mit allen Muslimen, und zwar ungeachtet des Einflusses der heterodoxen Brüderschaften der Bektaschis und Aleviten (S. 58, 59). An dieser Stelle differenziert sich Papadimitrious Ansicht von dem (griechisch) nationalistisch gefärbten Ansatz, der das Argument der islamischen Heterodoxie dazu einsetzt, um die interne Differenzierung der muslimischen Minderheit hervorzuheben, und damit die These über ihre kollektive (Selbst)Deutung zu dekonstruieren. Zugleich lässt der Autor aber klassische Literatur zur sozialen Rolle der islamischen Brüderschaften und zur gesellschaftlichen Handlungsrelevanz des religionsabweichenden Verhaltens außer acht. Letzteres Defizit ist schließlich symptomatisch dafür, dass Papadimitriou die Verbindung zwischen der „vorgestellten Gemeinschaft“ und der Relevanz einer solchen Zusammengehörigkeitsempfindung in der gesellschaftlichen Handlungsebene kaum herzustellen versucht. Somit scheinen (von ihm wohl erwähnte) soziale und andere Unterschiede (z.B. die „dynastischen Großgrundbesitzer, die sämtliche Macht besitzen“, S. 52) keinen konstitutive bzw. differenzierungsträchtige Relevanz auf das kollektive Selbstverständnis der Muslime zu haben, und ebenso wenig lassen Exklusionspraktiken bzw. Eheschließungspräferenzen unter Pomaken, Türken und muslimischen Roma, selbst nicht mal der unterschiedliche Einfluss des Kemalismus auf die Teilgruppen erklären. V.a. ist die Behauptung des Autors, die Pomaken weisen keine „ethnische Solidarität“ auf, sondern neigen eher zur „nationalen Assimilation“ (S. 50), im Lichte diesen Ansatzes kaum nachvollziehbar.

Im Papadimitrious Ansatz steht immerhin die Religion nicht nur im Mittelpunkt der Selbstdeutung der Pomaken, sondern erhebt sich zum treibenden Kraft sämtlichen Handelns diverser Akteure. Welchem Religionsbegriff sich der Autor dabei bedient, lässt sich nur aus dem Kontext herauslesen, so einige Beispiele: Der Misserfolg der bulgarischen Nationalbewegung im 19. Jh., die Pomaken für sich zu gewinnen, sei auf die „Religionsorientierung“ dieser Bewegung zurückzuführen, denn „der bulgarische Nationalismus setzte als zentrale Achse des Aufbaus der bulgarischen Nation die Gründung einer autonomen Bulgarischen Kirche ein“ (S. 73) – als wäre Letzteres der Sinn, und nicht nur ein Symptom für die bulgarische nationale Bewegung. Ähnlich sieht Papadimitriou die Bewegung der „muhafazakâr“ (palaiomousoulmanoi, „Traditionalisten“) bei ihrer Religiosität begründet, „denn die durch die türkischen Nationalisten eingeführten Reformen unterminierten ihre traditionelle muslimische Kosmotheorie und ihre Religionsidentität, die zwei fundamentale Konstanten ihres Wertesystems waren“ (S. 173). Dabei wird die Tatsache ausgeblendet, dass es sich um Akteure handelte, die in der aufsteigenden Ordnung ihre Privilegien und gar ihre Macht verloren zu gehen sahen.

Ein solcher problematischer Religionsbegriff verweist auf das antagonistische Verhältnis, in welchem nach der Ansicht des Autors Islam und Orthodoxie grundsätzlich zueinander stehen: „Trotz der zweifellos existierenden gegenseitigen Beeinflussung, kultivierte das Zusammenleben des muslimischen und des christlichen Dogmas über die Jahrhunderte den Religionsgegensatz zwischen den christlichen und mohammedanischen Bevölkerungen“ (S. 61). Dennoch wird erwähnt (obgleich nicht weiter reflektiert), dass „der Volksglaube und die Volksreligiosität stets ein Ort von Religionssynkretismus und Wechselwirkung der Religionen“ gewesen waren (S. 204). Durch das gemeinsame Religionsbekenntnis sei, so Papadimitriou, auch der Zusammenschluss der christlichen Balkanstaaten am Vorabend des Ersten Balkankriegs zu begründen, denn sie versuchten, „die Türkisierung der christlichen Nationalitäten [ethnotites], die noch im Territorium des Reichs lebten“ entgegenzuwirken (S. 96). Dieses Unternehmen einige die christlichen Nationen des Balkans, die angesichts der drohenden Türkisierung ihre nationalen Antagonismen zunächst beiseite legten (S. 96). Ein solcher Religionsbegriff ermöglicht jedoch kaum den Gegensatz zwischen griechischen und bulgarischem Nationalismus zu erklären, ebenso wenig die Präferenz von Griechen (siehe stellvertretend: Ion Dragoumis), mit Osmanen und muslimischen Albanern gegen die christlichen Slawen gemeinsam auftreten. V.a. wird die Tatsache ausgeblendet, dass in dieser fortgeschrittenen Transformationsphase die Religion vornehmlich als ein nationales Symbol diente. Dabei lässt der Autor sämtliche Sekundärliteratur zur Umwandlung von Sprache, Religion etc. in Nationalsymbole unberücksichtigt.5)

Papadimitriou erblickt den „Nukleus der kollektiven Identität der Pomaken in Griechenland“ heute noch in der Religion (S. 187). Darüber mag sich streiten lassen; kaum zu bestreiten ist jedoch die Tatsache, dass seit den 1920er Jahren die meisten griechischen Regierungen das Religionsbekenntnis zum Kern der kollektiven Deutung sowohl der Pomaken als auch der gesamten thrakischen Minderheit erhoben haben. Denn der Religionsunterschied ist eher „verträglich“ für die griechisch-nationalistische Sicht, angesichts der dominanten säkularistischen türkisch-nationalistischen Tendenz. Zugleich wird das immanente Konfliktpotential bei der fortlaufenden Selbstidentifikation von Pomaken mit den (Minderheiten-)Türken zugunsten eines nationalistisch-neutralen Religionsverständnisses herabgesetzt.

Heute ist es kaum mehr möglich, die Repressalien des griechischen Staates gegen die Pomaken bzw. die thrakische Minderheit zu leugnen und zugleich eine Stelle im Mainstream-Minderheitendiskurs zu beanspruchen. Möglich ist es jedoch „schuldabweisende“ Erklärungen anzubieten, wie z.B., dass die Pomaken nach 1955 nicht der griechischen Politik zum Opfer fielen, sondern der „neuen negativen Gegebenheiten, welche die Empfindung der Gefahr auf den Osten verlegten, denn Thrakien war die einzige Landgrenzzone zur Türkei“ (S. 157). Dies geschah allerdings nach dem „gewaltsamen Pogrom gegen die Griechen von Konstantinopel, der die Vernichtung der Rumelier [Romioi] von Polis zur Folge hatte“ (ebd.). Im Ergebnis „wurden die Pomaken als Mitglieder der muslimischen Minderheit mit der allgemeinen Frage der griechisch nationalen Sicherheit assoziiert, während auch die Türkei sie instrumentalisierte, um ihre zunehmende Expansionspolitik voranzutreiben" (ebd.) – als gäbe es keine Alternative für die griechische Seite. Die Interpretation von historischen Ereignissen innerhalb eines solchen bipolaren Schemas lässt die Zentralthese der Studie, die Pomaken seien zum zwischenstaatlichen Streitobjekt geworden, als ein Alibi für die griechische Minderheitenpolitik anklingen. Die „Schwarz-Weiß-Malerei“ kommt abermalig vor, wie bezeichnenderweise im Zusammenhang mit dem Status der Pomaken bzw. der Minderheiten in Griechenland und in Bulgarien: „Die Lausanner Konvention gliederte die Pomaken in Griechenland in die muslimische Minderheit Westthrakiens ein und stellte ihnen einen offiziellen, international anerkannten kollektiven Minderheitenstatus und unantastbare Minderheitenrechte sicher, die Assimilationsmaßnahmen oder -praktiken abwandten [...] Anders als in Bulgarien, wo weder Minderheiten im rechtlichen Sinne anerkannt noch solche kollektive Minderheitenrechte gebilligt werden“ (S. 49). In dieser bipolaren Sicht entspricht weder der eine noch der andere Pol des angedeuteten Gegensatzes der ganzen Wahrheit: Zum Einen wird verschwiegen, dass der rechtliche Rahmen durch die Handhabung der griechischen Politik zur Segregation der Minderheit aus der Gesamtgesellschaft genutzt wurde. Zum Anderen wird die anfangs nivellierende Aussage bezüglich des behaupteten Fehlens eines Minderheitenschutzes in Bulgarien im letzten Kapitel des Buches doch relativiert, indem die Wirkung internationaler Verträge (wie der Vertag von Neuilly, 1919) sowie das Bestehen eines rechtlichen Rahmens für das Minderheitenschulwesen sowie das Muftiamt zugegeben werden (S. 189ff).

Offensichtlich hat der Autor seine anfängliche ambitiöse Zielsetzung kaum erreicht. Bis auf die Präsentation einiger unveröffentlichten Quellen stellt das Buch kaum einen bemerkenswerten Beitrag zur Pomaken- bzw. Minderheitenforschung dar, denn es treibt weder die Fragestellung, noch den analytischen Stand, schließlich, auch nicht den faktischen Kenntnisstand voran.

 

Anmerkungen:

1) Repräsentativ dafür ist die Forschungsaktivität des Minority Groups Research Centre, www.kemo.gr

2) Kostis Tsioumis, Oi Pomakoi sto elliniko kratos (1920-1950). Istoriki proseggisi [Die Pomaken im griechischen Staat (1920-1950). Historische Annährung / Οι Πομάκοι στο ελληνικό κράτος (1920-1950). Ιστορική προσέγγιση]. Thessaliniki 1997.

3) Zur Urbanisierung und Auswanderung der Pomaken in Bulgarien: Evangelos Karagiannis, Zur Ethnizität der Pomaken Bulgariens. [Spektrum 51], Münster 1997; in Griechenland: Athener Akademie, I anaptyksi tis Thrakis. Prokliseis kai prooptikes [H ανάπτυξη της Θράκης. Προκλήσεις και προοπτικές / Die Entwicklung Thrakiens. Herausforderungen und Perspektiven], Athens 1995.

4) Fotini Tsimpiridou, “Ethnologiki erevna se ena xorio tis oreinis Rodopis: Symvoli sti meleti ton syggenikon desmon”, Thrakiki Epitirida 6(1985-1986), S. 211-223. Bezeichnend für die unterschiedlichen Verwandtschaftsmuster bei den Pomaken: Ulf Brunnbauer, „Die Berge und die Familie. Haushaltstrukturen unter Muslimen und Christen in den Rhodopen (19. und 20. Jahrhundert). In: U. Brunnbauer, K. Kaser, Vom Nutzen der Verwandten. Soziale Netzwerke in Bulgarien (19. und 20. Jahrhundert). Wien 2001, S. 219-251.

5) Z.B. Xaris Eksertzoglou, Ethniki Taftotita stin Konstantinoupoli ton 19 aiona. O Ellinikos Filologikos Syllogos Konstantonoupoleos 1816-1912 [Nationale Identität in Konstantinopel im 19. Jh. Der Hellenische Philologische Verein von Konstantinopel 1816-1912 / Εθνική συνείδηση στην Κωνσταντινούπολη τον 19ον αιώνα. Ο Ελληνικός Φιλολογικός Σύλλογος Κων/λεως 1861-1912]. Athen 1996.

 

Sevasti Trubeta (sev.trubeta@freenet.de)

Redaktion: Ulf Brunnbauer (ulf@zedat.fu-berlin.de)

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