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Rezension 15

Rezension Nummer 15 vom 06.05.2004

Edda Binder-Iijima: Die Institutionalisierung der rumänischen Monarchie unter Carol I. 1866–1881 (= Südosteuropäische Arbeiten, Bd. 118). München: R. Oldenbourg Verlag 2003, 628 S., ISBN 3-486-56819-1, 69,80 €.

 

Rezensiert von: Dietmar Müller (Berlin)

 

Die vorliegende Arbeit, die an der Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen wurde (Doktorvater zunächst Gunnar Hering, später Lothar Maier), besticht durch einen kunstvollen Aufbau, dem zu folgen nicht nur ein ästhetischer Genuss ist, sondern der auch hervorragend geeignet ist, das Material zu organisieren. Anhand von vier Brennpunktjahren – 1866, 1871, 1876, 1881 – in denen die Ergebnisse der meist krisenhaften Zuspitzung der nächsten Jahre vorwegnehmend dargestellt werden, gliedert die Autorin den Institutionalisierungsprozess der rumänischen Monarchie unter Carol I. Dieser begann 1866 mit seinem Herrschaftsantritt als Fürst der Moldau und der Walachei und fand 1881 in der Proklamation Rumäniens zum Königreich sein Ende. Das Jahr 1871 markiert die größte Krise der jungen Fürstenherrschaft und zugleich einen Paradigmenwechsel in der Ausgestaltung der Institution Fürst, denn die bereits verfasste Abdankungsschrift kam nicht zur Geltung. Vielmehr gestaltete Carol I. seine Herrschaftsausübung fürderhin nicht mehr als direkte Machtbeziehung und Steuerung der Institutionen, sondern eher als Repräsentant der Nation und ausgleichende Kraft im politischen Raum. 1876 schließlich kann als Auftakt des Mechanismus der geregelten Ablösung konservativer und liberaler Regierungen mit all ihren positiven Stabilitätseffekten und negativen Folgen auf den Parlamentarismus und die politische Kultur gelten.

 

 

 

Die eine Dimension der Arbeit wird durch den auf die Person des Fürsten ausgerichteten akteurs- und handlungszentrierten Ansatz erarbeitet, so dass sie auch als politische Biographie Karls von Hohenzollern-Sigmaringen in seinen ersten Jahren als rumänischer Fürst gelesen werden kann. Binder-Iijima beschreibt diese Zeit als Lern- und Adaptationsprozess Carols an die rumänischen Verhältnisse: an die ungeliebte Verfassung von 1866, an die Idiosynkrasien der konservativen Bojaren und nationalliberalen Eliten, an die innen- und außenpolitischen Zwänge der finanziellen Dauerkrise und an den begrenzten Spielraum eines noch nicht vollständig souveränen Kleinstaates. Darüber hinaus ist die Arbeit aber eine Institutionengeschichte insbesondere des Fürstenamtes sowie dessen Auswirkung auf benachbarte Institutionen wie die Regierung, das zweikammrige Parlament, und die politischen Parteien. Die Leitthese lautet, dass der Fürst sich nur durch Effizienz legitimieren konnte, indem er die ihm von der Verfassung zugeschriebenen Ausgleichs- und Integrationsfunktionen erfüllte.

 

 

 

Bezüglich der Quellen ist hervorzuheben, dass Binder-Iijima zum ersten Mal die Korrespondenz Carols insbesondere mit seinem Vater, Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen, systematisch ausgewertet hat. Von großer Bedeutung für seine persönlichen Entscheidungslagen ist auch die Auswertung der handschriftlichen Tagebücher, was seinen zusätzlichen Reiz mit der Gegenüberstellung mit den von 1894 bis 1900 publizierten Tagebüchern gewinnt. Die Auslassungen und Harmonisierungen verweisen mit großer Zielsicherheit auf brisante Themen für die Zeitgenossen sowie auf Probleme der rumänischen Historiographie mit Carol I. In zahlreichen Einzelfragen gelingt es der Autorin durch die Heranziehung dieser beiden Hauptquellen sowie einer nicht unbeträchtlichen Menge unveröffentlichten Aktenmaterials neue Erkenntnisse zu bringen. Als Beispiel sei die bisherige Meinung angeführt, Frankreich habe die Kandidatur Karls begünstigt, ja die Initiative dazu sei direkt von Napoleon III. ausgegangen. Binder-Iijima kann überzeugend nachweisen, dass die rumänische Diplomatie auch in diesem Fall nach dem Prinzip des fait accompli vorging. Insgesamt ist die Arbeit geeignet, die Rolle Carols I. in der rumänischen Geschichte des 19. Jahrhunderts neu zu bestimmen, und zwar jenseits der Verdammung in kommunistischer Zeit, aber auch jenseits der Panegyrik der Zeitgenossen sowie von Teilen der post-kommunistischen rumänischen Historiographie.

 

 

 

Zu zwei miteinander zusammenhängenden Problemkomplexen in der Historiographie über Rumänien gelingt es Binder-Iijima Signifikantes beizutragen. Zum einen das Klischee, wonach die starke Stellung des Monarchen im Institutionengefüge maßgeblich dazu beigetragen habe, dass Rumänien bis zum Ersten Weltkrieg nicht über einen Scheinkonstitutionalismus und -parlamentarismus hinweggekommen sei. Der Befund ist richtig, nicht aber seine Begründung. Carol I. versuchte nur bis 1871 von seiner verfassungsmäßig abgesicherten Position im Sinne einer aktiven und gestaltenden Rolle Gebrauch zu machen (wobei er selbst die Verfassung oft überging) und scheiterte damit auf ganzer Linie. Er legte dabei ein erhebliches Maß an politischem Unvermögen an den Tag, indem er seine kühnen Pläne eher am Maßstab eines Hohenzollern, als an den begrenzten Ressourcen und Bewegungsspielräumen eines kleinen Landes ausrichtete. Die Innenpolitik überließ er weitgehend den Radikalliberalen, die dies zu einer weitgehenden Durchdringung der Staatsverwaltung mit eigenen Leuten und zu einer innenpolitischen Polarisierung ausnützten. Es war also eher eine problematische Prioritätensetzung sowie die politische Unerfahrenheit und Schwäche Carols I. und nicht seine autokratischen Tendenzen, die das Verfassungssystem bis 1871 destabilisierten. Nach diesem Krisenjahr beschränkte er sich auf eine Schiedsrichter- und Vollzugsfunktion, darauf also, Regierungen abzusetzen, deren Problemlösungskapazitäten an Grenzen gestoßen waren und Parlamente aufzulösen, die weder eigene Regierungen zu bilden in der Lage waren, noch bestehende zu stützen. Dem widerspricht auch nicht die 1876 einsetzende Praxis der Machtwechsel aus fürstlicher Initiative, denn damit verband er keinen eigenen Gestaltungsanspruch mehr, sondern beendete lediglich eine krisenhafte Zuspitzung der Dinge.

 

 

 

Die entscheidenden Hindernisse auf dem Weg Rumäniens zu einer parlamentarischen Monarchie sind also nicht in den autokratischen Tendenzen des Fürsten zu suchen, sondern in den oligarchischen Bestrebungen der politischen Elite. Zunächst sei daran erinnert, dass die beiden großen Strömungen des politischen Spektrums noch bis in die 1890er Jahre in parteipolitischer Hinsicht große Defizite hinsichtlich organisatorischer Geschlossenheit und ideologischen Grundkonsenses aufzuweisen hatten. Die Aussicht auf einen Regierungsposten oder eine Stelle in der Administration, wirkte als weit effektiveres Band, als jegliche Grundüberzeugung. Erst nach 1871 – bis dahin waren die Parlamente zersplittert und völlig unberechenbar – bzw. 1876, als die Parteienrotation an der Regierungsverantwortung installiert wurde, konnte dieser Mechanismus allerdings seine Wirkung entfalten. Die Art und Weise des Regierungswechsels generierte aber in mehrfacher Hinsicht neue Instabilitäten: Der Monarch wurde nicht selten durch inszenierte Demonstrationen, Verleumdungskampagnen in der Presse u.ä. davon überzeugt, dass die amtierende Regierung an ein Ende gekommen war, und nicht durch ein politisches Alternativprogramm. Um dann eine stabile Mehrheit zu schaffen, hatte die mit der Wahl beauftragte Partei alle Freiräume zu Pressionen und Manipulationen. Dies führte oft zu vernichtenden Niederlagen der Opposition, die dann wiederum auf außerparlamentarische Mittel im politischen Kampf zurückgreifen musste.

 

 

 

Ein weiteres Klischee insbesondere in der älteren und konservativen Historiographie über Rumänien ist die „Formen ohne Inhalt“-These, wonach die Einführung von westeuropäischen Institutionen in Rumänien und die Missachtung der autochthonen Traditionen den Fortschritt letztlich behindert habe. Auf diesen Aspekt, der in der Regel ideen- oder institutionengeschichtlich behandelt wird, aber meines Erachtens vor allem auf die sozio-ökonomische Dimension verweist, geht die Autorin nicht systematisch ein. In ihrem Ausführungen zur „jüdischen Frage“ und den wenigen Bemerkungen zur Bauernfrage scheint sie sich der Tatsache aber durchaus bewusst zu sein, dass die Institutionalisierung der rumänischen Monarchie eine Kehrseite hatte, nämlich einen Elitenkompromiss der politischen Klasse auf dem Rücken der Bauern und der Juden. In der betrachteten Zeitspanne gingen vom Fürsten keine Initiativen zur Lösung dieser beiden größten Defizitbereiche der rumänischen Verfassungswirklichkeit aus, so dass auch in der zweiten Phase seiner Herrschaft als König Rumäniens, die bis 1917 dauerte, weder die Bauern- noch die „jüdische Frage“ eine entscheidende Lösung erfuhren. Vielmehr waren es eben die Mechanismen im parlamentarischen und außerparlamentarischen Raum, die Carol selbst in Gang gesetzte hatte, oder zumindest tolerierte, die die Nicht-Lösung der genannten Probleme ermöglichte. Der Antisemitismus war eines der effektivsten Mittel, die jeweilige Regierung der nationalen Pflichtvergessenheit anzuklagen und einen Regierungswechsel voranzutreiben. Die politische Klasse des Landes konnte nicht zuletzt mit dem Verweis auf eine das rumänischen Nationsprojekt bedrohende Invasion jüdischen Kapitals und jüdischer Menschen den politischen Raum als geschlossenes System mit geringem Partizipationsgrad der breiten Bevölkerung gestalten. Die sozio-ökonomische Dimension des von Carol gedeckten Elitenkompromisses bestand darin, die Ursachen für den beklagenswerten Zustand der Bauern nicht im Fortbestand eines neo-feudalen Agrarregimes, sondern in der Rolle zu suchen, die jüdische Landpächter darin einnahmen. So kann Binder-Iijima zugestimmt werden, dass nicht die Einführung westeuropäischer Institutionen problematisch war, sondern gerade das Beharren auf autochthonen Formen wie das genannte Agrarregime oder die nicht-Emanzipation der Juden bis zum Ersten Weltkrieg als Grenzen der rumänischen Entwicklung im „langen 19. Jahrhundert“ einzuschätzen sind.

 

Dietmar Müller:

E-Mail: dietmar-m.muller@gmx.de

 

Redaktion: Heiko Hänsel

E-Mail: haenselh@zedat.fu-berlin.de

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