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Rezension 13

Rezension Nummer 13 vom 14.04.2004

Ömer Turan: Avrasysa’da Misyonerlik [Missionstätigkeit in Eurasien]. (= Avrupa Araştırmaları Dizisi, Bd. 6) Ankara: Avrasya Stratejik Araştırmalar Merkezi Yayınları 2002, XII S + 192 S. mit zahlreichen Tabellen, ISBN 975-6769-58-0, ca. 5 €.

 

Rezensiert von: Stefan Ihrig (Berlin)

 

Ob Missionstätigkeit nun eine sinnvolle Tätigkeit war und ist, bleibt ein streitbares Sujet. Auch Nutzen, Effizienz und Gefahren dieser Tätigkeiten bleiben zu diskutieren. Was aber in der von Ömer Turan (1) vorgelegten Studie klar wird ist, dass es in Bezug auf den „eurasischen Raum“ eine über mindestens 200 Jahre konstante Strategie der Missionsorganisationen gibt. Auch die geographischen und gesellschaftlichen Bereiche, die von ihrer Missionsarbeit abgedeckt werden sind in etwa die gleichen geblieben. Turans Buch ist eine Studie verschiedener Aspekte der Missionstätigkeit evangelischer und katholischer Kirchen in diesem Raum. Von seinen sechs Kapiteln behandeln vier mit jeweils unterschiedlichen regionalen und zeitlichen Schwerpunkten diese Tätigkeiten. Während ein Kapitel eine Einführung sowie Übersicht beinhaltet, finden wir im letzten Kapitel eine Diskussion und Bestandsaufnahme der Archive der Missionsorganisationen, die im 19.Jahrhundert im Osmanischen Reich aktiv waren.

 

In seinem ersten Kapitel gibt Turan eine Übersicht über die Anfänge der Missionstätigkeit im Allgemeinen und im Osmanischen Reich im Besonderen.  Zeitlich verfolgt er die Entwicklungen bis in die Gegenwart. Der regionale Fokus seines Abrisses ist der „eurasischen Raum“, d. h. für ihn der Balkan, die Türkei, die Krim, der Kaukasus und die heutigen zentralasiatischen Republiken. Die Tendenz, die Turan hier konstatiert ist, dass die Missionstätigkeit seit 1991 immens zugenommen hat, dass die Organisationen ihre materielle Überlegenheit ausnützen und dass sie sich einer in verschiedenen Aspekten über die letzten beiden Jahrhunderte ausgefeilten Strategie bedienen. Diese beinhaltet im Groben eine Konzentration der Tätigkeiten auf die religiös und ethnisch „nahen Gruppen“, also Angehöriger anderer christlichen Religionen sowie des weiteren den Versuch vor allem die kleineren Minderheiten, auch muslimische und jüdische,  in den betroffenen Länder zu gewinnen. In einer weiter angelegten Strategie zielen die Missionare zudem auf denjenigen Bevölkerungsteil, der als städtisch, intellektuell und aus Mischehen stammend charakterisiert wird.

 

Besonders interessant ist ferner die zeitliche Konvergenz, die zwischen den Reformbestrebungen des Osmanischen Reiches und der zunehmenden Missionstätigkeit im 19. Jahrhunderts aufgezeigt wird. So geht zum Beispiel die Erlangung des Status des Millets für die Protestanten im Osmanischen Reich im Jahr 1850 auf Bestrebungen des englischen Botschafters Lord Stratford Cannings zurück.

 

In seinem zweiten Kapitel diskutiert Turan vor allem die Missionstätigkeit der Westkirchen in der jungen türkischen Republik, geht aber auch detailliert auf die Missionstätigkeit im Osmanischen Reich ein. Die Missionsarbeit der Katholiken begann im späten 16. Jahrhundert, die der Protestanten erst im frühen 19. Jahrhundert. Turan konzentriert sich jedoch hier vor allem auf die protestantische Missionstätigkeit, die den zentralen Gegenstand seines Buches bildet. Die evangelischen Missionsarbeit im Osmanischen Reich befolgte die nachstehenden Schritte: Erst wurden Beziehungen zu den alten Kirchen etabliert, dann wurde versucht, mit abgefallen Mitgliedern eigene Gemeinden zu konstituieren und erst im letzten Schritt versuchte man, auch Muslime zu missionieren.

 

In den 1920ern und 1930ern war zu beobachten, dass die Missionsorganisationen nach dem Ersten Weltkrieg und dem Unabhängigkeitskrieg in die Türkei zurückkehrten, um an den alten Stellen, die ehemaligen Niederlassungen wiederzubeleben und ihre Tätigkeiten in ähnlicher Weise wieder aufzunehmen, so vor allem das Betreiben von Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten und Druckereien. Das wurde ihnen, trotz der Interventionen beispielsweise der amerikanischen Regierung, durch den neuen türkischen Staat erschwert. Trotzdem haben sich die Organisationen über die Zeit Kemal Atatürks hinaus in der Türkei gehalten.

 

Während das dritte Kapitel eine kurze Darstellung über die verschiedenen Missionstätigkeiten auf der Krim und im Kaukasus im 19. Jahrhundert ist, widmet sich das vierte Kapitel den Aktivitäten der westlichen Kirchen im Bulgarien des gleichen Zeitraums. Hier betont Turan die Parallelität des bulgarischen Erwachens und der verstärkten Tätigkeiten der westlichen Missionare, vor allem der Protestanten mit amerikanischer Unterstützung. Er hebt hervor, dass die Missionskirchen einen wesentlichen Beitrag zum jungen bulgarischen Nationalismus geleistet haben, sowohl in kultureller als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Schulen der Missionsorganisationen in und außerhalb Bulgariens (so auch das Robert College in Istanbul) haben nicht nur einen großen Teil der bulgarischen Elite ausgebildet, sie hatten auch allgemeine Vorbildfunktion für spätere bulgarische Bildungseinrichtungen. Hinzu kamen zahlreiche religiöse und nichtreligiöse Schriften, Zeitungen und Zeitschriften, die mit Hilfe der Missionsorganisationen gedruckt wurden und so einen Beitrag zur (Wieder-) Belebung der bulgarischen Standardsprache geleistet haben. Er betont ferner, dass den in der Region tätigen Missionaren eine wesentliche Bedeutung in der Zeichnung des Bildes der metzelnden Türken und der Erweckung einer Sympathie für die Bulgaren in der westlichen öffentlichen Meinung zukommt.

 

Im fünften Kapitel verfolgt der Autor die Tätigkeiten in Makedonien, speziell in Manastır um die Zeit und bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Hier erkennt er zwar an, dass die Missionare dort den ansässigen Christen eine sehr gute Ausbildung zur Verfügung gestellt haben, daneben Waisenheime gründeten und Spendenmittel an bedürftige Familien verteilten, doch sieht er die Ziele der Tätigkeiten, nämlich eine große protestantische Gemeinde in der Region entstehen zu lassen, als gescheitert an. Die Zahl der Gemeindemitglieder überstieg zu keiner Zeit fünftausend.

 

 

Ömer Turans Buch ist eine in knapper Form gelungene Synthese aus neuerer und älterer Literatur sowie seiner Quellenarbeit in vor allem amerikanischen Archiven zur Missionsarbeit im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts bzw. im „eurasischen Raum“. Er weist in vielfältiger Weise auf die Kontinuitäten und die Vielzahl der Aktivitäten, aber auch auf die Aggressivität der Missionsarbeit der westlichen Kirchen in diesem Raum hin. Während die frühere Missionstätigkeit hier ihre eigenen Ziele nicht erreicht hatte und diese Tätigkeiten durch die neuen Nationalismen der Region und später den Kalten Krieg zeitweise gestoppt wurden, so scheint es, dass sich den Missionsorganisationen seit 1989/91 neue Chancen bieten. Dessen sind sich die westlichen Missionsorganisationen auch bewusst und diese Chancen versuchen sie vor allem mit ihrer materiellen Überlegenheit gegenüber den ansässigen Kirchen zu nutzen – erwähnt sei hier nur das recht hoch gegriffene Ziel amerikanischer Missionsorganisationen, die sich - so Turan (S. 22) - die Bekehrung von min. 20% der aserbaidschanischen Bevölkerung zum Christentum bis zur Jahrtausendwende zum Ziel gesetzt hatten. Hochgegriffen ist dieses Ziel auch vor dem Hintergrund der Analyse dieses Buches,  das zeigt, dass die Missionsarbeit innerhalb ihres eigenen Zieles der Bekehrung zum eigenen Glauben nie besonders erfolgreich in diesem „eurasischen Raum“ gewesen ist.

 

Stefan Ihrig

E-Mail: Stefan.Ihrig@gmx.net

 

 

Redaktion: Heiko Hänsel

E-Mail: haenselh@zedat.fu-berlin.de

 

(1) Ömer Turan ist Historiker an der Middle Eastern Technical University (METU) in Ankara und Mitarbeiter des Türk Tarihi Kurumu (Die Türkische Geschichtsstiftung). Er hat zuvor eine Studie zu den Türken in Bulgarien veröffentlicht: Turan, Ömer: The Turkish Minority in Bulgaria 1878-1908. Ankara 1998.

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