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Rezension 11

Rezension Nummer 11 vom 05.04.2004

Klaus Buchenau: Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945-1991. Ein serbisch-kroatischer Vergleich (= Balkanologische Veröffentlichungen, Bd. 40). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2004, 484 S., ISBN 3-447-04847-6, 98,00 €

 

Rezensiert von: Holm Sundhaussen (Berlin)

 

Zur Erklärung der postjugoslawischen Kriege zwischen 1991 und 1999 wurde sowohl von Beobachtern im ehem. Jugoslawien wie im Ausland auf den religiösen Faktor – auf die Spannungen zwischen Katholizismus und Orthodoxie einerseits sowie Christentum und Islam andererseits – hingewiesen. Insbesondere der Krieg in Bosnien wurde gelegentlich als Religionskrieg gedeutet. Die Erklärungsversuche krankten allerdings am Defizit empirisch fundierter Forschung. Arbeiten zur Geschichte der Kirchen und Glaubensgemeinschaften im sozialistischen Jugoslawien lagen kaum vor und litten unter der Unzugänglichkeit einschlägiger Quellen und/oder ideologischer Voreingenommenheit. Bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre hinein hatten auch die westliche Öffentlichkeit und die Forschung nur wenig Interesse an der Situation der Glaubensgemeinschaften in den Staaten Osteuropas gezeigt. Dieses erwachte erst mit der Krise der sozialistischen Systeme und dem Beginn der Transformationsprozesse. Die tatsächliche oder vermeintliche „Renaissance des Religiösen“ in den postsozialistischen Ländern, die Befürchtungen über eine Ausbreitung des „islamischen Fundamentalismus“ in Teilen des Balkanraums und der früheren Sowjetunion sowie die Kriege im ehem. Jugoslawien lenkten den Blick zurück auf Religion und Kirche. Das Defizit an solider Forschung wurde nun schlaglichtartig sichtbar.

Mit der vorliegenden Arbeit, hervorgegangen aus einer Dissertation an der Freien Universität Berlin,  stößt Buchenau in eine Forschungslücke vor. Er lässt sich dabei von der Frage leiten, inwieweit das religiöse Moment in der nationalen Mobilisierung während der späten 1980er und 1990er Jahre aus der Lage der Kirchen und Konfessionen im sozialistischen Jugoslawien erklärt werden bzw. ob und inwieweit die Religion zum Verständnis der gewaltsamen Auflösung Jugoslawiens beitragen kann. Zu diesem Zweck rekonstruiert der Verfasser die Geschichte der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) und der Katholischen Kirche bei den Kroaten vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Zerfall Jugoslawiens. Es ist der erste Versuch, diese Geschichte systematisch-komparativ zu schreiben und die Beziehungsgeschichte durch einen konsequenten Vergleich zu ergänzen und verständlicher zu machen. Tertium comparationis des Vergleichs ist die Frage nach dem Beitrag beider Kirchen zur Entfaltung einer Zivilgesellschaft, „verstanden als diejenige Gesellschaft, die sich gegenüber dem Staat Autonomie bewahrt und die Möglichkeit zum freiwilligen Zusammenschluss von Individuen bietet“ (S. 36). Dieser Ansatz verspricht Ergebnisse, die paradigmatisch für die hier behandelten Großkirchen sind und sich - mutatis mutandis - auch in anderen sozialistischen Gesellschaften wiederfinden lassen. 

Der komparative Ansatz wird auf zwei Untersuchungsebenen – einer strukturell-institutionengeschichtlichen und einer diskursanalytischen Ebene – sowie aus dem Blickwinkel mehrerer Disziplinen (Geschichte, Religionssoziologie, aber auch Theologie und Ethnologie) ausgeführt. Um die unterschiedliche Vitalität beider Kirchen zu erklären, wird ihre Funktionsweise als Institution ebenso beleuchtet wie ihre Verbindung zu den Gläubigen und ihre Haltung zur gesellschaftlichen Sphäre allgemein. Die institutionelle Stärke oder Schwäche der Kirchen hatte Einfluss auf die Art und Weise, wie sie sich in der Öffentlichkeit positionierten und ihre Anhängerschaft zu mobilisieren versuchten. Die vier genannten Merkmale – Vergleich, Institutionengeschichte, Diskursanalyse und Interdisziplinarität  – verleihen der vorliegenden Arbeit ihr besonderes Profil.

Der institutionengeschichtliche Teil der Untersuchung  ist der Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche mit dem zeitlichen Schwerpunkt  vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis etwa 1970 gewidmet. Das Enddatum erklärt sich einerseits aus der Zugänglichkeit archivalischer Quellen und zum anderen aus der Tatsache, dass die entscheidenden institutionellen Weichenstellungen der „Tito-Ära“ abgeschlossen waren und danach nicht mehr grundlegend verändert wurden. Die Diskursanalyse hat ihren Schwerpunkt von Mitte der 60er Jahre (vom II. Vatikanischen Konzil über den „Kroatischen Frühling“ und die Krise der 80er Jahre) bis zum Zerfall Jugoslawiens.  Mit den Materialien des ersten Teils wird der Rahmen für die Diskursanalyse des zweiten Teils abgesteckt.

Die Darstellung ist neun Kapitel gegliedert, denen ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis folgt (S. 451-471). Die Untersuchung stützt sich im wesentlichen auf fünf Quellengruppen: 1) auf das umfangreiche Material der jugoslawischen Bundeskommission für religiöse Fragen im Archiv Jugoslawiens (Belgrad), 2) auf veröffentlichte Quellen unterschiedlicher Art (Gesetze, Prozessakten, Gedenkbände, Schriften wichtiger kirchlicher oder politischer Akteure, Memoiren, Tagebücher etc.), 3) auf religionssoziologische Untersuchungen aus dem früheren Jugoslawien (mit entsprechenden Umfrageergebnissen), 4) auf die Kirchenpresse, allen voran auf die Organe der Katholischen Kirche (Glas koncila) und der SOK (Pravoslavlje) sowie 5) auf Interviews mit 26 Zeitzeugen (Theologen, Priestern, Bischöfen, Kirchenjournalisten und Laien). Nicht zugänglich waren die Archive des Belgrader Patriarchats und der katholischen Bischofskonferenz Jugoslawiens.

In Kapitel 4 (S. 39-90) liefert Buchenau eine historische Einführung in sein Thema. Im Einzelnen werden behandelt: Religion und Nation, Priestertum und soziales Prestige, Orthodoxie und Katholizismus im „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ bzw. Jugoslawien und der Zweite Weltkrieg. Ausgehend von einer Beobachtung Peter Sugars von 1989 beschäftigt sich Buchenau zunächst mit dem bemerkenswerten Paradoxon, dass die orthodoxen Kirchen den symbolischen und institutionellen „Vorteil“ ihrer autokephalen Struktur in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus nicht nutzten bzw. nutzen konnten, während die Katholische Kirche in dieser Hinsicht erfolgreicher war. An dieser Stelle wird erstmals eine These formuliert, die sich wie ein roter Faden durch die weitere Darstellung zieht, dass nämlich die Katholische Kirche im Laufe der Jahrhunderte gelernt hatte, über staatliche Beschränkungen hinweg und notfalls gegen den Staat zu funktionieren, während die autokephalen Kirchen sehr viel stärker auf den jeweiligen Staat ausgerichtet und dementsprechend abhängig waren. Zwar hat sich die Katholische Kirche bei den Kroaten erst verhältnismäßig spät – in der Zwischenkriegszeit – mit der Nation verbunden, aber diesem „nationalen Defizit des kroatischen Katholizismus steht ein intellektuelles Defizit der serbischen Orthodoxie gegenüber“ (S. 44). Gemeint ist der (nicht zuletzt durch die lange osmanische Herrschaft begründete) Rückstand in puncto Bildung und Prestige des orthodoxen Klerus.

Nach der Gründung des ersten jugoslawischen Staates wurde die orthodoxe Kirche zwar materiell bevorzugt, bezahlte dies jedoch mit einer Bevormundung durch den Staat. Die Katholische Kirche galt wegen ihrer Unterordnung unter den Vatikan, der seinerseits als Verbündeter des mit Jugoslawien verfeindeten Italien verstanden wurde, als tendenziell illoyal. Aber erst die gescheiterte Konkordatspolitik sowie die Zuspitzung und Radikalisierung der nationalen Frage in Zwischenkriegsjugoslawien trieben die Katholische Kirche in eine abwehrende Haltung gegenüber dem Staat und vertieften den Graben zwischen beiden Großkirchen. Der Kyrillomethodianismus des 19. Jh. und der damit verbundene Jugoslawismus wurden diskreditiert und verloren nahezu jeden Rückhalt in der kroatischen Bevölkerung. Die Zerstückelung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg, die Serbenverfolgungen im „Unabhängigen Staat Kroatien“ (USK) sowie die Spaltung der Bevölkerung in „Kollaborateure“ und Partisanen wirkten nachhaltig auf die Position beider Kirchen zurück. Hier geht es v.a. um die seit Jahrzehnten heftig umstrittene Rolle der Katholischen Kirche im Ustaša-Staat und insbesondere um die Persönlichkeit des Zagreber Erzbischofs Alojzije Stepinac.

Die serbisch-kroatische Kontroverse über Stepinac ist seit Ende der 80er Jahre voll entbrannt. Während der mittlerweile selig gesprochene Stepinac in Kroatien zum nationalen Märtyrer avancierte, gilt er auf serbischer Seite nach wie vor als „Kriegsverbrecher“ und „Kollaborateur“ des völkermordenden Ustaša-Regimes. Buchenau skizziert den Balanceakt von Stepinac zwischen Befürwortung eines kroatischen Staates und Ablehnung des Ustaša-Terrors sowie seine Haltung zur Problematik der Konversion von Orthodoxen zum Katholizismus. Für die SOK war der Zweite Weltkrieg in jeder Hinsicht eine Katastrophe. Ihre Sympathien galten in erster Linie der Tschetnik-Bewegung; während General Milan Nedić als Marionette der Deutschen betrachtet wurde. Das Verhältnis beider Kirchen zur jugoslawischen „Volksbefreiungsbewegung“ war von Anfang an gespannt. Zur Ablehnung des Marxismus und Säkularismus kam der Antimodernismus von Stepinac und der SOK hinzu. Buchenau stellt in diesem Kontext die Konzeptionen der beiden einflussreichsten serbischen Theologen des 20. Jh., Nikolaj Velimirović und Justin Popović, dar (S. 79ff.). Diese für das Verständnis der SOK grundlegenden Ausführungen wirken an dieser Stelle  etwas deplaziert und würden besser in das Kapitel zur Zwischenkriegszeit passen. 

Mit Kapitel 5: Grundlagen des Kirche-Staat-Verhältnisses im sozialistischen Jugoslawien (S. 91-130) wendet sich der Autor dem Kern seiner Untersuchung zu. Er stellt die ersten Begegnungen der Kirchen mit der neuen Macht dar, diskutiert die Periodisierung des Kirche-Staat-Verhältnisses 1945-1991, analysiert die ersten politischen und rechtlichen Schritte des Regimes gegenüber den Kirchen, insbesondere das Gesetz über die Stellung der Glaubensgemeinschaften von 1953, und skizziert die Konfrontationsmuster zwischen Kirchen und Staat.

“In Kap. 4 ist unter anderem dargelegt worden, wie die SOK schon vor 1945 einen großen Teil ihrer Energien auf die nationale Frage verwendete [...], wogegen Anstrengungen zur Evangelisierung der Bevölkerung oft zurückstehen mussten. In der sozialistischen Periode setzt sich dieses Grundmuster in modifizierter Form fort: Während die staatlichen Versuche, die religiöse Weltanschauung als solche zu marginalisieren, auf vergleichsweise geringen Widerstand treffen, sind diejenigen Streitpunkte, die sich auf die kanonische Einheit der SOK und damit indirekt auch des Serbentums beziehen, regelrechte Dauerbrenner. Diese Disposition, die schließlich den Weg in das zeitweilige Bündnis mit dem national gewendeten Kommunisten Milošević bereiten wird, äußert sich schon in den ersten Nachkriegsjahren und bildet einen fundamentalen Unterschied zur Grundhaltung der katholischen Kirchenleitung in Zagreb. Auch Stepinac war [...] keineswegs unempfindlich für die nationale Ebene – aber seine Verteidigung der Nation ging in erster Linie vom Katholizismus als unumstößlicher sozialer Tatsache aus. Die Nation wurde hier mehr indirekt als direkt verteidigt: als kompaktes katholisches Milieu, auf dessen überkommene Rechte er pochte.“ (S. 110f.)

Im Folgenden werden die Konfrontation zwischen Stepinac und dem Regime, der Prozess gegen den Erzbischof  und seine Verurteilung sowie die Position der serbischen Kirche zum staatlichen Föderalisierungskonzept dargestellt (Ablehnung einer jugoslawischen orthodoxen Kirche, Kampf gegen die Autokephalie der makedonischen Kirche und Zurückweisung autonom-kirchlicher Bestrebungen in Montenegro).

Der institutionelle Vergleich beider Kirchen ist Gegenstand des umfangreichen Kapitels 6 (S. 131-307). Auf der Basis veröffentlichter Umfragen und einiger ethnologischer Studien entwirft der Verfasser zunächst ein regional differenziertes religionssoziologisches Profil der Gläubigen (und Ungläubigen). Deutlich erkennbar wird die „religionssoziologische Schere“ zwischen Katholizismus und Orthodoxie. Während die Katholische Kirche in ihrer Zielgruppe auf einen vergleichsweise hohen Prozentsatz von Gläubigen rekurrieren konnte, war die Religiosität bei der orthodoxen Bevölkerung nur gering ausgeprägt. Mit anderen Worten: Ungeachtet regionaler Schwankungen und des Stadt-Land-Gefälles war die Säkularisierung bei den Serben sehr viel weiter fortgeschritten als bei den Kroaten. Die Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung waren vielfältiger Art und werden in den anschließenden Unterkapiteln erläutert.

In Auswertung des informativen Materials der Bundeskommission für religiöse Fragen liefert Buchenau detaillierte und faszinierende Einblicke in  die Struktur des Klerus, die Geschichte der Priestervereinigungen, die Kirchenfinanzen, den staatlichen Einfluss auf Bischofsernennungen und auf die Beziehungen beider Kirchen zu ihren den jeweiligen nationalen Diasporen. Die einzelnen Unterkapitel sind in der Regel gleich strukturiert: Einem allgemeinen Teil, der für beide Kirchen gilt, folgen die komparativen Abhandlungen zur katholischen und orthodoxen Kirche.

Das wichtigste Instrument des Staates gegen die Kirchen waren die Priestervereinigungen, die es auch schon vor 1945 gegeben hatte. Im sozialistischen Jugoslawien verfolgte das Regime mit den Priestervereinigungen (PV) vor allem vier Ziele: ideologische Einflussnahme, Schwächung der Kirchen durch „Differenzierung“ zwischen „positiven“ und „negativen“ Priestern, Entfremdung des niederen Klerus vom überwiegend antikommunistisch eingestellten höheren Klerus und „religiöse Deaktivierung“ des niederen Klerus. Während die orthodoxe  PV in den ersten Nachkriegsjahren schnell wuchs und sich auf hohem Niveau stabilisierte, stellten die PV-Mitglieder in der katholischen Priesterschaft eine Minderheit dar. Als Determinanten der harten Linie gegen die PV in der katholischen Kirche werden der Vatikan, Stepinac und der kroatische Nationalismus benannt. Dagegen kam es im Bereich der SOK im Verlauf der 50er Jahre zu einer allmählichen „Verfilzung“ von PV, kirchlicher Hierarchie und Staatsapparat, die je nach Perspektive als staatliche Unterwanderung der Kirche oder als wachsende bischöfliche Kontrolle über die PV interpretiert werden kann.  Tendenziell befand sich die orthodoxe PV auf dem Weg zur „Priestergewerkschaft“. Nachdrücklich weist Buchenau aber darauf hin, daß auch die orthodoxe PV nicht als staatstreues und homogenes Gebilde verstanden werden darf. Hinter der regimetreuen Diktion und Fassade verliefen sowohl nationale als auch ideologische Trennlinien (z.B. in der Frage der makedonischen Autokephalie).

Spannend sind Buchenaus Ausführungen über Kirche und Geld. Da die direkte staatliche Unterstützung für die Kirchen und deren Einnahmen aus Grund- und Immobilienbesitz nach dem Zweiten Weltkrieg extrem stark zurückgingen, mussten neue Quellen der Finanzierung erschlossen werden: a) unter den Gläubigen vor Ort, b) im Ausland oder c) durch erneute Annäherung an den Staat. Während die katholische Kirche recht erfolgreich die ersten beiden Finanzierungs- möglichkeiten nutzte, wandte sich die SOK stärker dem Staat zu (und setzte damit einen Großteil ihrer Autonomie aufs Spiel). Allerdings befand sich die katholische Kirche auch in einer besseren Ausgangssituation: ihre Gläubigen lebten in den reicheren Republiken Jugoslawiens, sie gingen  regelmäßiger zum Gottesdienst und spendeten großzügiger. Die Kirche selbst war wohlhabender und weniger durch den Krieg geschädigt als ihre orthodoxe Konkurrentin. Dementsprechend verfügten katholische Priester über ein deutlich höheres Einkommen als orthodoxe Popen (und zahlten auch deutlich mehr Steuern).

Neben den Priestervereinigungen und der Alimentierung der Kirchen und Priester aus den öffentlichen Haushalten war die staatliche Einflussnahme auf Bischofsernennungen ein wichtiges Instrument des Regimes zur Kontrolle der Kirchen. Auch hier zeichnen wieder klare Unterschiede zwischen Orthodoxie und Katholizismus ab. Anhand der heute zugänglichen Quellen zeichnet der Autor die staatlichen Pressionen bei der Wahl Vikentijes zum Patriarchen i.J. 1950 nach (S. 253ff.).  In der Kaderpolitik zeigte sich Vikentije zu Zugeständnissen an den Staat bereit, sperrte sich aber gegen die Anerkennung der Makedonischen Orthodoxen Kirche und gegen den wachsenden Einfluss der Priestervereinigungen. Nach seinem Tod 1958 wurde die Wahl seines Nachfolgers German abermals massiv von staatlicher Seite gesteuert. „Bis heute scheiden sich in der SOK die Geister darüber, ob German als Erfüllungsgehilfe des Regimes eingehen soll oder als geschickter Diplomat [...]. In jedem Fall war Patriarch German während seiner langen Amtszeit (1958-1990) der zentrale Vermittler zwischen Episkopat und Staat. Dies galt v.a. für die Kaderpolitik.“ (S. 261) Dagegen konnte das sozialistische Regime nie formalen Einfluss auf die Personalpolitik des Vatikans nehmen. Im Gegenteil: Ende November 1952 ernannte Pius XII. den als „Kriegsverbrecher“ verurteilten Stepinac zum Kardinal; im September 1954 erfolgte die Ernennung Franjo Šepers zum Koadjutor des Erzbistums Zagreb, und im Juni 1970 erfuhr die jugoslawische Regierung aus der Presse, dass Franjo Kuharić – ein enger Gefolgsmann des verstorbenen Stepinac – zum Erzbischof von Zagreb ernannt worden war. Die jugoslawische Seite konnte nicht einmal durchsetzen, dass sie bei bevorstehenden Ernennungen konsultiert wurde und musste ihre Ohnmacht resigniert anerkennen, zumal sie mit Rücksicht auf ihre internationale Reputation einem offenen Konflikt mit dem Vatikan aus dem Weg gehen wollte.

Ähnlich ungleich fällt die Bilanz beider Kirchen im Umgang mit den nationalen Diasporen aus. Trotz schwieriger Materiallage kann Buchenau zeigen, dass die katholische Kirche einen wesentlich effektiveren „Transmissionsriemen“ für den Kontakt zwischen Emigration und Heimat darstellte als die Orthodoxie. Dies wirkte sich auch während und nach dem Zerfall Jugoslawiens aus. Die Beziehungen zwischen serbischer Emigration und SOK wurden (trotz enger Zusammenarbeit zwischen der jugoslawischen Regierung und dem Patriarchat) durch mehrere Faktoren beeinträchtigt: durch die Spaltung der Diaspora in Tschetnik- und Ljotić-Anhänger und v.a. durch den anhaltenden Konflikt zwischen den Diaspora-Bischöfen in Amerika Nikolaj Velimirović und Dionisje Milivojević, der schließlich in die Kirchenspaltung (raskol) von 1963/64 mündete.

Insgesamt dokumentiert Kapitel 6 die institutionelle Schwäche der SOK, ihre Abhängigkeit von staatlicher materieller Hilfe sowie die daraus resultierende Manipulierbarkeit. Die katholische Kirche stellte sich auf allen relevanten Feldern als resistenter gegen staatliche Beeinflussung dar und blieb über die gesamte sozialistische Zeit hinweg „ein äußerst vitales Phänomen“. 

Mit Kapitel 7 beginnt der diskursanalytische Teil der Arbeit. Zunächst stellt Buchenau die ideologische Entwicklung von Mitte der 1960er bis Anfang der 1980er Jahre dar (S. 309-375). Dabei geht es einerseits um die „katholischen Herausforderungen“, verbunden mit dem II. Vatikanischen Konzil, und die „orthodoxen Antworten“ sowie andererseits um die zunehmende öffentliche Entfremdung zwischen beiden Kirchen: „Wallfahrten statt Dialoge“. Mit dem II. Vatikanischen Konzil wurde die katholische Kirche zur „Impulsgeberin“ in der Beziehungsgeschichte zwischen Katholizismus und Orthodoxie in Jugoslawien, während die SOK auf den ökumenischen Dialog im wesentlichen nur reagierte, und zwar mit Ablehnung. Die Ablehnung erklärt sich aus der Tatsache, dass die katholische Kirche ihren Überlegenheitsanspruch nicht aufgab und sich nach wie vor als die „wahrste“ aller christlichen Kirchen verstand und dass die SOK die Aufnahme des ökumenischen Dialogs an eine Vorbedingung knüpfte, die der kroatische Episkopat nicht zu erfüllen bereit war. Die SOK forderte, dass sich die katholische Kirche zu ihrer Mitverantwortung an den Ustaša-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg bekennen müsse. Davon war man in Zagreb weit entfernt. Hinzu kam, dass die SOK hinter dem Dialogangebot einen neuen katholischen Missionseifer vermutete und sich deshalb defensiv verhielt. Zwar bestanden durchaus Sympathien für die Idee einer gemeinsamen christlichen Front gegen den Atheismus, aber die Angst vor einem katholischen Proselytismus war stärker. Umgekehrt zeigten die Katholiken Angst vor einer Annäherung an die SOK, da sie diese als kommunistisch unterwandert verstanden und enger Kontakte zum Geheimdienst bezichtigten. Während der Staat am ökumenischen Dialog interessiert war und sich davon eine Entspannung in der nationalen Frage erhoffte, gingen SOK und katholische Kirche auf Blockadekurs.

Auch der Dialog zwischen Kirchen und Staat blieb in Ansätzen stecken. „Die Haltung der serbischen Kirchenleitung zur Ökumene wäre am ehesten als Kompromiss zu charakterisieren – zwischen den Anforderungen des Staates, der sich eine dosierte Teilnahme am ökumenischen Gespräch wünschte, und der eigenen Skepsis. Anders sahen die Verhältnisse jenseits der offiziellen Ebene aus. Mit Justin Popović war einer der größten serbischen Theologen in den ‚kirchlichen Untergrund’ abgedrängt worden; im Nonnenkloster Ćelije, etwa zwei Autostunden von Belgrad entfernt, schrieb er vehement gegen die Ökumene, gegen Europa und die moderne Welt an – und gegen den serbischen Patriarchen, der nach Justins Meinung viel zu viele Kompromisse gemacht hatte.“ (S. 342) Die recht marginale Position, die Ökumeniker und Dialogfreunde in beiden Kirchen einnahmen, wurde im Laufe der 70er Jahre weiter geschwächt. „Zwei Faktoren dürften hierfür ausschlaggebend gewesen sein: einerseits die Redogmatisierung der kommunistischen Partei als Folge der ‚Säuberungen’ von 1971/72, mit denen Tito erst die national gesonnene Führung in Kroatien, dann die ‚serbischen Liberalen’ von der Macht entfernte. Andererseits zeigten die Konfessionen selbst in den 70er Jahren konservative Neigungen, die sich auf katholischer Seite in der Reinterpretation der Konzilsimpulse [...], auf orthodoxer etwa in einer slawophilen Renaissance in Russland und Serbien manifestierten.“ (S. 355.) Zwar hatte sich die katholische Kirche im „kroatischen Frühling“ von 1971 zurückgehalten, verwandelte sich aber nach dessen Niederschlagung zusehends in eine nationale Institution. Der kirchliche „Alternativentwurf“ zum „kroatischen Frühling“ war die Implementierung des Stepinac-Kults und eine Kette von Jubiläen. In einem neunjährigen Zyklus (Novena) wurden zwischen 1976 und 1984 Ereignisse gefeiert, die als Bausteine eines nationalen Imaginariums verwendet werden konnten: 1976 die tausend Jahre zurückliegende Gründung des ersten Marienschreins in Solin bei Split; 1977 das 800jährige Jubiläum des ersten Papstbesuches in Zadar; 1978 das 900jährige Jubiläum der Kathedrale in Biskuplja bei Knin; 1979 die 1100-Jahrfeier zu Ehren des Fürsten Branimir, der sein Fürstentum unter die Jurisdiktion von Rom gestellt hatte; 1984 schließlich der Nationale Eucharistische Kongress in Marija Bistrica und Zagreb, der zu einer religiösen Massenveranstaltung wurde, wie es das sozialistische Jugoslawien bis dahin nicht erlebt hatte. Die SOK reagierte auf den Stepinac-Kult und die katholische Jubiläumsserie ihrerseits mit Gedenkfeiern: zum 375. Gründungsjahr des Klosters Gomirje in Kroatien (1975), zum 800. Geburtstag des Hl. Sava (1975), zum 100. Jahrestag des herzegowinischen Aufstands (1976), zum 65. Jahrestag des Durchbruchs an der Salonikifront im Ersten Weltkrieg (1983) und mit einem Gedenkgottesdienst im ehemaligen Ustaša-Konzentrationslager Jasenovac (1984).

Kapitel 8 ist der Rolle der Kirchen im jugoslawischen Staatszerfall gewidmet (S. 377-433). Buchenau erhebt nicht den Anspruch, die Rolle von Religion und Kirche im Jahrzehnt nach Titos erschöpfend darzustellen, sondern strebt einen „punktuellen Vergleich“ der „religiösen Renaissance“ und der nationalreligiösen Mobilisierung an. „Dieser zeigt u.a.“, so die Kernthese des Verfassers, „dass die meisten Charakteristika des Jahrzehnts nach Tito – trotz aller stürmischen Veränderungen – keine Überraschungen, sondern radikalisierte, nunmehr öffentlich ausgetragene Fortsetzungen bereits vorher sichtbarer Konflikte und Widersprüche waren.“ (S. 377). Kapitel 8 behandelt zuerst die Entwicklung in Serbien („Kirchen und Menschenrechte, Teil I: Der serbisch-orthodoxe Kosovo-Diskurs“; „Serbische ‚Alternativen’: Zwischen Slobodan Milošević und Vuk Drašković“; „Orthodoxe Demokratievorstellungen“ und „Vom Genozid-Mythos zum großserbischen ‚Verteidigungskrieg’“) und wendet sich dann Kroatien zu („Taktische Zurückhaltung? Glas Koncila und die serbische Mobilisierung“; „Mit Tudjman in die Offensive. Glas Koncila seit Ende 1988“ und „Kirchen und Menschenrechte, Teil II: Glas Koncila und die Serben in Kroatien“).

Für viele Leser wird dies der spannendste Teil der vorliegenden Arbeit sein. Buchenau stützt sich dabei im Wesentlichen auf eine Analyse der Kirchenpresse. Im Mai 1982 veröffentlichte Pravoslavlje, das Organ der SOK, einen „Appell zur Verteidigung der serbischen Bevölkerung und seiner Heiligtümer in Kosovo“, unterschrieben von 21 serbischen Priestern und Mönchen, darunter den Popović-Schülern Amfilohije und Irinej. In diesem Text tauchte erstmals der Begriff „Genozid“ auf, der zum serbisch-nationalistischen Schlüsselbegriff der 1980er und 1990er Jahre werden sollte. Dies war der Beginn der Konstruktion jener Geschichtsmythen, die den öffentlichen Diskurs in Serbien seit Mitte der 1980er Jahre dominierten, die Vorstellung von einem Jahrhunderte langen Genozid an den Serben, die Verbindung zwischen der Kosovo-Schlacht von 1389 mit den Serbenverfolgungen im „Unabhängigen Staat Kroatien“, der wiederbelebte Hass gegen die „Poturen“ (die zum Islam konvertierten Albaner und Südslawen), der Brückenschlag zwischen dem Genozid an den in Kroatien beheimatete Serben im Zweiten Weltkrieg und der aktuellen Lage der Serben in Kosovo etc. Aufschlussreich ist Buchenaus Hinweis, dass aus den jüngst veröffentlichten Protokollen der Gespräche des Patriarchen German mit der politischen Führung der Republik Serbien hervorgehe, dass bereits Anfang der 1980er Jahre – also lange vor dem Machtantritt Miloševićs – ein nationalistischer Konsens zwischen Kirchenleitung und Teilen der serbischen Republiksführung bestand. Die Einstellung zu Milošević blieb dagegen gespalten: zum Teil wurde er bewundert, zum Teil abgelehnt, weil er nicht bereit war, der Kirche ihr früheres Eigentum zurückzuerstatten und den Religionsunterricht wieder einzuführen. Anlässlich der ersten freien Wahlen in Serbien stellte sich die SOK hinter die nationalistische Opposition gegen Milošević (weil dieser ihr nicht nationalistisch genug war). Der Diskurs über die serbischen Opfer von Jasenovac und die Unterstützung für einen Anschluss der kroatischen Krajina an Serbien besiegelte die Konfrontation mit Kroatien und der katholischen Kirche.

Das katholische Sprachrohr „Glas Koncila“ hatte sich über längere Zeit defensiv verhalten. Bis 1985 dominierten Themen wie Menschenrechte, Atheismus und Abtreibung; danach rückte die Widerlegung des  serbischen „Faschismusvorwurfs“ zunehmend in den Vordergrund. Ende der 1980er Jahre erlangte die Mobilisierung in Glas Koncila eine neue Qualität. Erstmals kam im Juli 1989 der spätere kroatische Präsident Franjo Tudjman in Glas Koncila zu Wort mit einem Interview zu seinem unsäglichen Buch „Irrwege der Geschichtswirklichkeit“. Während die staatlichen Medien in Kroatien Tudjmans Buch totschwiegen, räumte Glas Koncila dem „Dissidenten“ breiten Raum ein. Die von Tudjman in den 90er Jahren favorisierte Idee einer nationalen „Versöhnung“ (pomirje) zwischen kroatischen Tätern und kroatischen Opfern im Zweiten Weltkrieg nahm in Glas Koncila erstmals konkrete Gestalt an. Diese „Versöhnung“ war so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was in Deutschland als „Vergangenheitsbewältigung“ bezeichnet wird. Angestrebt wurde ein Schlussstrich unter die Vergangenheit und die Zusammenführung von Opfern und Tätern im Zeichen des Nationalismus. Daraus ergab sich eine enge Affinität zwischen katholischem Klerus und der Tudjman-Partei HDZ. Was die Geschichte des Zweiten Weltkrieges betrifft, betrieb Glas Koncila unverhohlen die Revision des Geschichtsbildes und versuchte, Jasenovac  als Leidensstätte antifaschistischer Kroaten darzustellen. „Glas Koncila und noch mehr Pravoslavlje vermittelten also ihren Lesern 1990/91 den Eindruck, die Auseinandersetzung des Zweiten Weltkrieges müsse zwangsläufig eine Fortsetzung finden. Die Etikettierung des aktuellen nationalen Gegners als ‚Ustaša’ bzw. ‚Četnik’, die sich wenig später an den Fronten einbürgern sollte, war hier bereits mit Händen zu greifen.“ (S. 435)

In Kapitel 9: „Fazit“ (S. 435-449) spricht sich Buchenau einerseits gegen die These aus, dass der Zerfall Jugoslawiens als Religionskrieg zu deuten sei. Zwar hätten die Kirchen in der nationalen Mobilisierung eine bedeutende Rolle gespielt, aber sie seien nur zwei von mehreren Akteuren gewesen, die an der Zerstörung Jugoslawiens mitwirkten. Andererseits verwahrt er sich gegen die Interpretation, die heute in der SOK verbreitet und beliebt ist. Demnach sei die nationale Frage von Politikern missbraucht worden; die Kirche treffe keine Verantwortung. „Diese Sichtweise, die sich auch führende westeuropäische Politiker zu Eigen gemacht haben [Buchenau erwähnt stellvertretend Ernesto Prodi], widerspricht den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung [...].“ (S. 435f.) „Auch wenn in der SOK schon Ende der 80er Jahre Zweifel an der politischen Linie Miloševićs auftauchten, hängen seine Popularität wie auch sein Wahlsieg Ende 1990 eng mit dem ‚kirchlichen Faktor’ zusammen. Seit Anfang der 80er Jahre popularisierten kirchliche Autoren das Thema, mit dem Milošević durchschlagenden politischen Erfolg haben sollte: die Lage der Serben im Kosovo.“ (S. 436).

Die katholische Kirche erhielt Ende der 1980er Jahre „die Möglichkeit, das postkommunistische Vakuum nach ihren Vorstellungen auszufüllen. Dabei gab es relativ wenige Überraschungen: Ihr Geschichtsbild, ihre Vorstellungen vom ‚neuen Kroatien’ waren aus der Novena und Kuharićs Stepinac-Predigten weitgehend bekannt [...].“ (S.437) Aus Buchenaus Sicht sind die Wurzeln der nationalen Konfrontation zwischen katholischer Kirche und SOK in der Zwischenkriegszeit zu suchen. „Im Rückblick betrachtet, kommt den 30er Jahren zentrale Bedeutung zu. Unter den Bedingungen der Königsdiktatur mit ihrem Verbot aller ‚stammesbezogenen’ Parteien gewinnen religiöse Manifestationen an politischer Symbolik, übernehmen die Kirchen eine nationale Stellvertreterfunktion. In dieser Zeit stabilisieren sich die kirchlichen Imaginarien, werden gleichsam ‚ausgehärtet’ und nehmen dabei ein Form an,  die sich auch in den sozialistischen Jahrzehnten als unerhört widerstandsfähig erweisen sollte.“ (S. 440)

Abschließend fragt der Autor, ob das „nationalreligiöse Finale“ der späten 1980er Jahre überhaupt vermeidbar gewesen sei. Seine Antwort fällt skeptisch aus. Selbst in den 1960er Jahren, als Jugoslawien innen- wie außenpolitische Erfolge vorweisen konnte und Titos Herrschaft unangefochten war, hätte eine Liberalisierung der öffentlichen Diskurse und eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, insbesondere mit dem Zweiten Weltkrieg, die Gründungsmythen des jugoslawischen Staates und damit auch die Legitimation der Macht in den Grundfesten erschüttern müssen. Über diese These wird man streiten können. Aber insgesamt hat Buchenau eine schlüssige und empirisch fundierte Untersuchung über die  Bedeutung des „religiösen Faktors“ im ehemaligen Jugoslawien vorgelegt.

Holm Sundhaussen

E-Mail: sundhaus@zedat.fu-berlin.de

 

Redaktion: Heiko Hänsel

E-Mail: haenselh@zedat.fu-berlin.de

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