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Forschung

Profil: Osteuropa im transnationalen Verflechtungsraum

Das Osteuropa-Institut steht für eine disziplinenübergreifende Forschung über Osteuropa, die Area-Expertise mit theoriegeleiteten Fragestellungen der Sozial-, Kultur und Geisteswissenschaften verknüpft.  Wir untersuchen Osteuropa in seinen transnationalen und -imperialen Verflechtungen. Drei miteinander verbundene Aspekte stehen dabei im Fokus unserer Arbeit:

Erstens ist Osteuropa geprägt von einer gemeinsamen „kommunistischen“ Vergangenheit, bei welcher der Staatssozialismus sowjetischen Typs strukturbildend war. Aufgrund historischer Vorbedingungen und konkreter Akteurskonstellationen schlugen aber die Länder sehr verschiedene Transformationspfade in Richtung Marktwirtschaft und Demokratie ein, die ihrerseits inzwischen Pfadabhängigkeiten schaffen.

Zweitens bildete und bildet Osteuropa einen eigenen kulturellen, politischen und ökonomischen Verflechtungsraum, durch den sich mit den unterschiedlichen Orientierungen der Länder nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus neue/alte Grenzlinien ziehen. Osteuropa ist deshalb auch ein Brennpunkt neuer und alter globaler und europäischer Konflikte, in denen es sowohl um Vormachtstellungen und sozio-ökonomische Entwicklungschancen als auch um kulturelle Identitätskonzepte und Selbstbestimmung geht. So haben beispielsweise die gegenwärtige – erneute – Abkehr Russlands vom „Westen“ und seine Wiederkehr als globaler Player die Auseinandersetzung um politische Regime, Wirtschafts- und Sozialmodelle, um ökonomische, politische und kulturelle Integration in neuer Weise verschärft.

Drittens erleben wir ein Wiedererstarken des Autoritarismus als einen übergreifenden Trend, der angesichts der unterschiedlichen Transformationspfade und Integrationsmuster nach 1989 keineswegs zu erwarten war. Fragen nach den gemeinsamen Legacies verschwinden daher ebensowenig von der Forschungsagenda wie die Auseinandersetzung mit Verlauf und Ergebnissen osteuropäischer Transformationsprozesse und ihren globalen Implikationen.

Das Forschungsprofil „Osteuropa im transnationalen Verflechtungsraum“ untersucht diese Entwicklungen in regionaler und globaler Perspektive, ohne die die Entwicklung im östlichen Europa nicht zu begreifen ist. Das Forschungsprogramm grenzt sich deutlich von European Studies ab, die Osteuropa primär als Teil der Europäischen Union oder als assoziierte bzw. zu assoziierende Peripherie betrachten.

Die transnationale Verflechtungsperspektive wird mit komparativen Ansätzen verknüpft. Im Zentrum steht dabei der Regimevergleich, der nicht auf das politische System beschränkt wird, sondern einen breiten politökonomischen Ansatz verfolgt, bei dem politisch-rechtliche Systeme, sozio-ökonomische Ordnungsmodelle und kulturelle Normen- und Ordnungsvorstellungen bzw. -konflikte in Beziehung gesetzt werden. Verflechtungs- und Regimeperspektive stehen in einem engen Zusammenhang, da Regimeausprägung und Formen der Verflechtung einander wechselseitig bedingen und beeinflussen

Das Osteuropa-Institut (OEI) an der Freien Universität prägt eine Kombination aus Sozial-, Kultur und Geisteswissenschaften. Diese Fächerkombination mit einer starken Präsenz der Sozialwissenschaften und die Größe des Instituts sind deutschlandweit einmalig. Aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven beschäftigen sich die Mitarbeiter:innen des OEI mit mehreren übergreifenden Fragestellungen: 

Übergreifende Forschungsfragen

  • Was treibt die Rückkehr des Autoritarismus in Osteuropa an? Welche sozio-ökonomischen Ordnungsmodelle und Legitimationsstrategien werden dabei verfolgt? Wie interagieren formale und informale Institutionen bei der Ausprägung und Stabilität der Regimevariationen? Wie variiert dieser Zusammenhang in einzelnen Politikfeldern und auf der Basis unterschiedlicher Wirtschaftsstrukturen?
  • Welche Rolle spielen historische, kulturelle und institutionelle Legacies für ähnliche bzw. divergente Entwicklungspfade, für ähnliche und konfligierende Normen- und Ordnungsvorstellungen?
  • Welche Effekte haben die konfligierenden, transnationalen Diffusions-, Migrations- und Integrationsprozesse auf die sozio-ökonomischen Systeme, auf die politischen Regime und die Formierung kollektiver Identitäten der Länder? Wie wirkt Russland als Ordnungsmodell und geopolitischer Akteur auf Ostmittel- und Südosteuropa und Eurasien?
  • Wie interagieren die Entwicklungen in Russland und Osteuropa mit den Krisen der globalen Wirtschafts- und Weltordnung?

Forschungsfelder

(1)   Komparative Institutionenforschung und Institutionentheorie: Zusammenspiel von formalen Institutionen und informellen Regeln, Normen und Praktiken in autoritären bzw. hybriden Regimen; Adaption internationaler Standards in diesen Kontexten; Verknüpfung von politischen Regimen mit sozio-ökonomischen Varianten von Marktwirtschaften und Sozialpolitik, Performance von Institutionen und deren Folgen für die sozio-ökonomische Entwicklung und soziale Ungleichheit; die kulturelle Einbettung institutioneller Ordnungen.

(2)   Russland als Großmacht: Russland als Ordnungsmodell für europäische und außereuropäische Weltregionen in Geschichte und Gegenwart; Wandel des Wirtschaftsmodells und der Sozialordnung im Kontext globaler Krisen; imperiale Restauration und politische, sozio-ökonomische sowie identitäre Abkehr Russlands vom „Westen“; historische und meta-historische und kulturelle Narrative im post-sowjetischen Russland als Legitimations- und Kritikressource, die Rolle des Rechts in diesen Prozessen.

(3)   Akteure und kulturelle Ordnungsvorstellungen: Konstruktion und Rekonstruktion osteuropäischer Identitäten im Kontext von nationaler Abgrenzung und Migrationsgeschichte (einschließlich der osteuropäisch-jüdischen Geschichte); Zivilgesellschaft und Produktion, Widerstreit und Diffusion von Ideen im Spannungsfeld von offiziellen und subversiven Kulturen.

(4)   Politische Ökonomik und kulturwissenschaftlich informierte Wirtschaftsgeschichte: Modellierung politischer Prozesse, Ökonomik der Zentralplanung und Transitionspfade im Vergleich, persistente kulturelle Ordnungsvorstellungen und wirtschaftliche Entwicklung in Ost- und Südosteuropa – das Russische und des Osmanische Kaiserreich im Vergleich.

Mehr zu unseren Forschungsvorhaben finden Sie auf den Seiten der einzelnen Arbeitsbereiche:

Geschichte

Kultur

Politik

Soziologie

Wirtschaft

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Forschungsprojekte

Forschungskolloquien

Konferenzen

Richard-Löwenthal-Lectures