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Rezension 9

Rezension Nummer 9 vom 13.02.2004

Hildrun Glass: Minderheit zwischen zwei Diktaturen – Zur Geschichte der Juden in Rumänien 1944-1949. München: Oldenbourg 2002, 337 S., ISBN 3-486-56665-2, 49 €.

 

Rezensiert von: Stefan Ihrig (Berlin)

 

Es ist eines der immer noch lebendigen Vorurteile in Rumänien, dass die Juden den Kommunismus ins Land gebracht hätten und ihn anfangs beherrscht hätten. Dieses Vorurteil wird von der vorliegenden Monographie in anschaulichster Weise widerlegt. Während sich die neueste Forschung zu den Juden Rumäniens weitgehend auf die Kriegs- und Zwischenkriegszeit konzentriert,(1) untersucht Hildrun Glass hier die Geschichte der Juden Rumäniens in der unmittelbaren Nachkriegszeit. In neun Kapiteln zeichnet die Autorin die Lage der Juden in Rumänien „zwischen den Diktaturen“ nach. Ihre Monographie ist in zwei Teile gegliedert, in denen das Thema jeweils von zwei verschiedenen Richtungen her beleuchtet wird. Während im ersten Teil (Kapitel 1-5) das Schicksal der Juden vor allem unter dem Gesichtspunkt der Antonescu-Diktatur und ihrer Folge betrachtet wird, steht im zweiten Teil (Kapitel 6-9) die Rolle der Juden in der Aufbauarbeit der Herrschaft der kommunistischen Partei im Mittelpunkt. Die Essenz ihres Buches ist es wohl, dass in der direkten Nachkriegszeit die Entfremdung der jüdischen Bevölkerung gegenüber der rumänischen Gesellschaft eher noch weiter zu- als abnahm. Dies resultierte aus verschiedenen Gründen. Zum einen waren die Regierungen dieser Zeit nicht bereit, die jüdische Bevölkerung angemessen für das erlittene Unrecht zu entschädigen. Ferner nahm die RKP, ähnlich wie die anderen Parteien und speziell die Rechtsparteien an, dass die Juden sowieso die kommunistische Partei unterstützen würden und so keine besondere Aufmerksamkeit benötigten. Als sich zeigte, dass dies eine Fehleinschätzung war und die vorhandene Unterstützung noch sank, änderte die Rumänische Kommunistische Partei (RKP) ihre Taktik bzw. begann eine solche erst zu entwickeln. Sie versuchte dann, bei schwindender Unterstützung jüdischer Organisationen, diese durch eine aggressive divide-et-impera Politik unter Kontrolle zu bekommen.

 

Letztendlich zeigt Glass, dass sich anti-semitische Motive auch im Diskurs der RKP wieder finden. Häufig wurde der angebliche Antisemitismus der allgemeinen Bevölkerung dazu benutzt, den Juden, als Einzelpersonen oder als Gruppe, Rechte vorzuenthalten. So wurden unter Verweis auf den allgemeinen Antisemitismus die jüdische Bevölkerungsgruppe nicht als Minderheit anerkannt, einigen jüdischen Politikern Führungspositionen und den Opfern der Antonescu-Zeit jede substantielle Wiedergutmachung vorenthalten.

 

Die Einflussnahme auf die jüdischen Organisationen verläuft nach Glass in vier Schritten: Beteiligung, Spaltung, Übernahme und Zentralisierung. Diesen Prozess zeichnet die Autorin in den verschiedenen Schwerpunkten ihres Buches minutiös nach. Die RKP, die sich in der Zwischenkriegszeit kaum um die Juden gekümmert hatte, begann sich sukzessiv ins jüdische Gemeinde- und Organisationsleben einzuschalten. Dies gipfelte in der Gründung des CDE (Demokratisches Jüdisches Komitee), das wiederum dazu benutzt wurde, die verschiedenen jüdischen Organisationen gegeneinander auszuspielen und so langfristig deren Einfluss zu untergraben. Das Mittel der Übernahme wurde vor allem bei den jüdischen Gemeindegremien verwendet. Dem Präsidenten des Verbandes Jüdischer Gemeinden, Filderman, wurde hier schrittweise der Einfluss genommen. In diesem Prozess bekamen die beiden von den Kommunisten beherrschten Organisationen, die CDE und die FUCE (Union der Verbände der Jüdischen Gemeinden Rumäniens), immer mehr Macht, bis diese schließlich gänzlich dem Staat zufiel. Darüber hinaus wurden die jüdischen Parteien bis Ende 1948 alle beseitigt.

 

Die Autorin untersucht in diesen verschiedenen Etappen der Einflussnahme auch immer die zionistischen Gruppierungen, sowie die Auswanderung nach Israel. Sie benutzt hier die Auswanderung und den Auswanderungswillen als Gradmesser für die Stimmung der Juden in Bezug auf die rumänische Gesellschaft. Zwar liegen die großen Auswanderungswellen (1950/51) jenseits des hier untersuchten Zeitraums, doch sind die Gründe für eben diese Auswanderung letztendlich in der untersuchten Zeit zu finden. Neben der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Lage, den Problemen, denen sich orthodoxe Juden am Arbeitsplatz zunehmend ausgesetzt sahen, sind die Gründe vor allem in der beschriebenen Gleichschaltungspolitik der RKP, der verweigerten Wiedergutmachung und dem Anhalten antisemitischer Ressentiments in der allgemeinen Bevölkerung sowie dem politischen Establishment zu suchen. Zwar wird versucht, die Auswanderung in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu kontrollieren, doch die kommunistischen Machthaber scheinen sich dann damit abzufinden, einen Teil der Bevölkerung im Austausch für wirtschaftliche Vorteile zu verlieren.

 

Diese Monographie von Hildrun Glass schließt nicht nur eine Forschungslücke und wird somit zu einem unumgänglichen Referenzwerk für jeden, der sich mit den Juden Rumäniens in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftig. Sie ist außerdem eine Fallstudie, die im Detail die Bestrebungen, Probleme, sowie Erfolge der Machtübernahme und Machtkonsolidierung der RKP anhand einer Bevölkerungsgruppe nachzeichnet.

 

Stefan Ihrig

E-Mail: Stefan.Ihrig@gmx.net

 

Redaktion: Heiko Hänsel

E-Mail: haenselh@zedat.fu-berlin.de

 

(1) Siehe bspw. Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft – Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien 1918-1938. München 1996; Hausleitner, Mariana: Staatspolitik und Minderheiten in Bessarabien unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-jüdischen Verhältnisses im 19. und 20.Jahrhundert. München (voraussichtlich 2004); loanid Radu: The Holocaust in Romania. Chicago 2000. loanid Radu: Evreii sub regimul Antonescu (Die Juden unter dem Regime Antonescu). Bukarest 1998. Siehe zu dem letzten Buch die Rezension Nr. 3 von Dietmar Müller. Zum zum untersuchten Zeitraum siehe zudem: Minorităţi Etnoculturale - Marturii documentare. Evreii din Romania 1945-1965. Cluj 2003.

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