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Schippel, Larissa (Hg.): Im Dialog: Rumänistik im deutschsprachigen Raum. Peter Lang: Frankfurt am Main u. a. 2004.

434 S., ISBN 3-631-51845-5, Euro 68,50.-

 

Als Untersparte in der Sparte hat es die Rumänistik sicherlich schwer wahrgenommen zu werden. Einem solchen Defizit will der von Larissa Schippel herausgegebene Band mit seinen 23 Beiträgen Abhilfe leisten. Das Buch gibt eine interessante Übersicht darüber, was an verschiedenen Stellen im deutschen Sprachraum zum rumänischsprachigen Raum geforscht wird. Viele der Beiträge sind der Linguistik und Literaturwissenschaft auf der einen Seite und der Geschichts- und Politikwissenschaft auf der anderen zuzuordnen; darüber hinaus sind aber auch Texte mit anderen Fachbezügen vertreten.

Aus dem breiten Spektrum der Aufsätze können hier nur einige knapp vorgestellt werden. Zu den nicht näher diskutierten Artikeln gehören anregende Beiträge zu solch interessanten Themen wie der Ceauşescu-Verehrung in den Gedichten jener Zeit (Klaus Heitmann), den Asterix-Übersetzungen ins Rumänische (Maren Huberty), der Rumänistik im Internet (Sabine Krause), dem Venedig-Sonett von Mihai Eminescu (Michèle Mattusch) und der „Eminescologie“ an sich (Ilina Gregori). Neben einer Reihe von Aufsätzen zu linguistischen Themen (eine etymologische Diskussion von Johannes Kramer, zum slawisch-rumänischen Sprachkontakt von Corinna Leschber, zur rumänischen Sprache als „Kompromisssprache“ von Maria Iliescu und zur „Persönlichkeit“ der rumänischen Sprache von Michael Metzeltin) werden in Schippels Sammelband aber eben auch verschiedene politische, historische und historiografische Themen behandelt.

In Folgenden soll vor allem auf jene Beiträge eingegangen werden, die für politisch und historisch Interessierte wichtig sind. Diese kann man in vier Kategorien fassen: erstens Texte zum Rumänienbild, zur Wissenschaftsgeschichte und zur Historiografie, zweitens Beiträge zum politischen System Rumäniens, drittens Aufsätze über die Minderheitenproblematik sowie, viertens, zwei Texte zur Republik Moldova.

Marina Dumbrava analysiert in ihrem Beitrag, wie Politik in den moldawischen Medien, besonders im Fernsehen dargestellt wird. Sie kommt unter anderem zu dem Schluss, dass positive Meldungen im Gegensatz zu negativen vorherrschen und dass die Politiker selbst grundlegend in die Themenauswahl der Berichterstattung eingreifen. Trotz der offensichtlichen Medienlenkung kann man aber einen breiten Medienkonsum in der Republik Moldova beobachten. Eine Erklärung findet Marina Dumbrava in der „sowjetischen Schule des Hörens und Sehens“, welche die Zuschauer bereits in ihrer Kritikfähigkeit soweit geschult habe, dass sie den staatlichen Informationen mit einer gewissen Distanz gegenüber stünden und einen eigenen Weg des Medienkonsums gefunden hätten (269). Vasile Dumbrava gibt in seinem Artikel einen Überblick über die erinnerungspolitischen Debatten in der Republik Moldova am Beispiel der Denkmäler. Er macht hier auf die moldawischen Ausprägungen eines Politikfeldes aufmerksam, das wir mit Katherine Verdery als „dead body politics“ bezeichnen können.[1]

Drei Artikel widmen sich dem aktuellen politischen System in Rumänien: Dorothée de Nève analysiert den heutigen Nationalismus in Rumänien und kommt zu dem Schluss, dass dieser ein exklusiver ist und bisher kaum oder gar keine integrative Kraft entfaltet hat. Joachim Krauss sucht in seinem Beitrag nach der Zivilgesellschaft in Rumänien und zieht ein eher negatives Fazit; er spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „elitären Parteiendemokratie ohne Bürgerbeteiligung“. Einen ähnlichen Tenor finden wir auch in Tina Olteanus Beitrag, der die Stellung des Präsidenten in der rumänischen Gesellschaft und Politik untersucht. Die Bilanz der drei Aufsätze zur Politik scheint trostlos – allerdings führen sie insgesamt zu einem sehr differenzierten Blick auf die rumänische Demokratie und weisen auf eindringliche Weise auf mögliche Variationen innerhalb von Systemen, die das Label „Demokratie“ tragen, hin.

Die drei Artikel zu den Minderheiten und Religionsgemeinschaften Rumäniens geben jeweils einen guten Überblick über die behandelten Zeiten und Schwerpunkte. Kati Mühlmann untersucht unter dem Titel „Rumänien und seine Religionen“ sowohl die sozialistische Zeit als auch die nach 1989. Mariana Hausleitner analysiert die Minderheitenpolitik Großrumäniens (1918–1945). Sie hat besonders die Rumänisierungspolitik im Blick und bündelt hier die Erträge ihrer langjährigen Forschung zum Thema.[2] Brigitte Mihok diskutiert die rumänische Minderheitenpolitik nach 1989. Ihr gelungener Überblick berücksichtigt insbesondere solche Aspekte wie den so genannten Minderheitenrat, die Unterrichtsgesetzgebung sowie die europäischen Vorgaben. Ihr Fazit ist, dass nach außen hin zwar eine deklaratorische Anerkennung der europäischen Minderheitenstandards stattfindet, die Umsetzung im Inneren jedoch oft von eher nationalistisch orientierten Zielen behindert wird.

In einem weiteren Themenkomplex untersuchen insgesamt sechs Artikel Aspekte der deutsch-rumänischen Bild-, Wissenschafts- und Historiografiegeschichte. Anke Pfeifer versucht den aktuellen deutschen Rumänienbildern anhand der Zeitschriften Spiegel, Stern und Zeit auf die Spur zu kommen. Drei Merkmale macht sie hier aus, die in den Zuschreibungen der Presse besonders auffallen: 1. das der „besonderen Gewalttätigkeit“ („Barbarentum“), 2. das der zivilisatorisch-kulturellen Rückständigkeit sowie 3. der Korruption (416). Sie sieht hier vor allem einen Elends- bzw. Mitleidsdiskurs, der sich um die Frage, wie eine solche Misere (wie die in Rumänien) „am Rande Europas“ möglich ist, dreht (414). Angesichts neuerer Zuschreibungen, die Rumänien als „Motor südosteuropäischer Entwicklung“ porträtieren,[3] wäre es sicherlich interessant, ihre Studie, die hier vor allem auf Texten aus den 1990er Jahren fußt, zeitlich fortzusetzen. Axel Barner bietet dem Leser in seinem Artikel einen akribischen und kritischen Überblick über die Forschungsliteratur zur Imagologie, also dem deutschen Rumänienbild durch die Jahrhunderte. Seine Bilanz ist gemischt: Zwar gäbe es eine Reihe von wertvollen Publikationen auf dem Gebiet – er hebt Heitmanns und Fassels Studien hervor[4], – doch existierten noch einige Grauzonen, besonders was das 20. Jahrhundert betrifft. Abgerundet wird dieser Themenblock mit einem Rezensionsaufsatz von Armin Heinen und einem Beitrag zur deutschen Rumänistik von Wolfgang Dahmen. Heinen stellt neuere Entwicklungen in der rumänischen Historiografie vor – besonders die in den 1990er Jahren verlegte Werke von Sorin Mitu und Lucian Boia – und situiert diese in den allgemeinen historiografischen Entwicklungen seit 1989.[5] Dahmen diskutiert pointiert die Situation des Studiums der Rumänistik in Deutschland.

Die hier versammelten Aufsätze sind zwar teilweise bereits an anderer Stelle erschienen und umfassen sicherlich nicht alle Themenbereiche und Schwerpunkte der deutschsprachigen Rumänistik. Dennoch gelingt dem Band insgesamt ein interessanter Querschnitt durch die lose miteinander verbundene Disziplin, über die methodologischen Fächergrenzen hinweg. Er deutet eindrucksvoll auf die Bandbreite der deutschen Rumänistik hin, doch natürlich kann es ihm nicht gelingen, dieses lebendige Feld erschöpfend einzufangen.[6] Leider bleibt der Querschnitt etwas zufällig; die Auswahl der Beiträge und Themen unnachvollziehbar. Eine Struktur, wie in dieser Rezension suggeriert, besitzt der Band im Aufbau nicht; hier sind die Artikel in nicht durchschaubarer Logik angeordnet. Und so kann der Band leider auch nicht eventuellen Zweifeln an der inneren Kohärenz der Rumänistik, wie sie hier skizziert wird, entgegentreten. Dennoch ist er eine willkommene Anlaufstation für Studenten, die sich mit dem Feld beschäftigen.

 

Rezensiert von:
Stefan Ihrig (Berlin)

Email: ihrigstef@yahoo.de


[1] Verdery, Katherine: The Political Lives of Dead Bodies. New York 2000.

[2] Vgl. z.B. Hausleitner, Mariana: Deutsche und Juden in Bessarabien 1814-1941. Zur Minderheitenpolitik Russlands und Großrumäniens. München 2005; Hausleitner, Mariana: Die Rumänisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs Großrumäniens, 1918-1944. München 2001.

[3] Ungleiche Partner in der südöstlichen Ecke Europas. Rumänien und Bulgarien zum EU-Beitritt. Neue Zürcher Zeitung 20. April 2006, S. 6; siehe auch Kissau, Kathrin: Ceauşescu, Dracula und Waisenhäuser? Einblicke in das Image Rumäniens in Deutschland. Südosteuropa Mitteilungen 4 (2006), S. 44-55.

[4] Heitmann, Klaus: Das Rumänienbild im deutschen Sprachraum, 1775-1918. Köln 1985; Fassel, Horst: Südosteuropa und der Orient-Topos der deutschen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Revue des études sud-est européennes 7 (1979), S. 345-358; Fassel, Horst: Die Darstellung Rumäniens und seiner Bewohner in der deutschen Literatur. Buletinul Bibliotecii Române 11/15 (1984), S. 373-422.

[5] Zur rumänischen Historiographie seit 1989 siehe auch: Vultur, Smaranda: New topics, new tendencies and new generations of historians in Romanian historiography. in: Brunnbauer, Ulf (ed.): (Re)Writing History. Historiography in Southeast Europe after Socialism, Münster 2004, S. 236-276.

[6] Verwiesen sei hier nur auf einige weitere Vertreter der rumänistischen Forschungslandschaft in deutschsprachigen Landen und ihre Publikationen: Müller, Dietmar: Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878 - 1941. Wiesbaden 2005; Zeller, Anika: Konstruktion im Wandel: nationale Identität in der Republik Moldau. Eine Analyse der staatlichen Zeitung "Nezavisimaja Moldova" (1991 - 1994). Hamburg 2005; Sallanz, Josef (Hg.): Die Dobrudscha: Ethnische Minderheiten - Kulturlandschaft - Transformation. Ergebnisse eines Geländekurses des Instituts für Geographie der Universität Potsdam im Südosten Rumäniens. Potsdam 2005; Edda Binder Iijima und Vasile Dumbrava (Hg.): Stefan der Große - Fürst der Moldau. Symbolfunktion und Bdeutungswandel eines mittelalterlichen Herrschers. Leipzig 2005; Krista Zach und Cornelius R. Zach (Hg.): Modernisierung auf Raten in Rumänien. Anspruch, Umsetzung, Wirkung. München 2004; Heintz, Monica (Hg.): Weak State, Uncertain Citizenship: Moldova. Berlin (im Erscheinen 2007).

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