Springe direkt zu Inhalt

Rezension 5

Rezension Nummer 5 vom 16.11.2003

Thomas Bremer: Kleine Geschichte der Religionen in Jugoslawien. Königreich – Kommunismus – Krieg. Freiburg: Herder Verlag 2003, 144 S., ISBN 3-451-28128-7, 12,90 €.

 

Rezensiert von: Heiko Wimmen (Mostar)

 

Grundsätzlich kann man als Laie oder Fachfremder Thomas Bremers Vorhaben, auf weniger als 150 Seiten eine „Kleine Geschichte der Religionen in Jugoslawien“ zu liefern, sicher nur begrüßen. Denn dass neben den diversen Nationalismen auch die Religionen am jugoslawischen Desaster der Neunziger Jahre beteiligt waren, hat man ja durch die Medien schon mitbekommen und doch nicht wirklich verstanden. Gerne hätte man also gewusst, ob es wirklich so zufällig ist, dass nahezu alle Kroaten zugleich katholisch, alle Serben orthodox und alle Muslim(an)e (oder neuerdings Bosniaken), nun, eben muslimischer Konfession sind, und ob es sich wirklich um „uralten ethnischen Hass“ oder doch um „Religionskriege“ gehandelt hat (und noch handelt).

 

Diese Erwartungen, um es gleich zu sagen, kann das vorliegende Buch trotz redlicher Bemühungen des Autors nur recht unvollkommen einlösen. Das liegt zum einen an der Organisation des Materials: Bremer baut seine Narration weitgehend chronologisch auf (eingeteilt in mehrere Geschichtsabschnitte, innerhalb derer die verschiedenen Religionen dann überwiegend separat behandelt werden) und versucht, anhand von verschiedenen, für die jeweilige Religionsgemeinschaft „entscheidenden“ Wendepunkten, Phasen oder zuweilen Personen das Verhältnis von Religion und Nation(alismus) bzw. Nationenbildung zu erklären. So werden die grundsätzlich richtigen und hilfreichen Analyseansätze des Autors zu dieser Frage über den gesamten Text verstreut, was dem nicht vorgebildeten Leser den Zugang erheblich erschwert. Es ist eben nicht ohne weiteres einleuchtend, dass zu Zeiten des Ustaša-Regimes orthodoxe Serben per Konversion zu Kroaten werden und damit zumindest zuweilen Leib und Leben retten konnten, während in Deutschland zur gleichen Zeit auch drei Generationen zurückliegende Konversionen in der Regel keinen Schutz vor Deportation und Gaskammer boten. Hier wäre zumindest ein mehr systematisch angelegtes Kapitel unter der Überschrift „Religion und Nationenbildung“ hilfreich gewesen.

 

Zum anderen greift der von Bremer gewählte historische Ausschnitt dann doch ein wenig zu kurz. Es können eben weder der kroatische noch der serbische Nationalismus ohne den Rückgriff auf das 19. und z.T. auch noch das 18. Jahrhundert erklärt werden (was im Übrigen für nahezu alle aktuellen Konflikte auf dem ehemaligen Gebiet des Osmanischen Reiches gilt). Das weiß natürlich auch der Autor, weshalb der erste Abschnitt des Buches zumindest einen kurzen Abriss der Religionsgeschichte bis zur Gründung des Königreiches Jugoslawien enthält. Nur reicht das eben nicht aus, um einige besonders hartnäckige Legenden zu beerdigen, wie ein Beispiel verdeutlichen mag: So referiert Bremer korrekt die „Nationenbildung“ der bosnischen Muslime in den Sechziger Jahren per staatlicher Institutionalisierung und betont, dass die äußerliche „Konstruiertheit“ dieser Nation die Legitimität des muslimisch-bosnischen Nationalbewusstseins keineswegs von vorneherein entwerte. So weit, so lobenswert (und man erinnere sich, dass auch und gerade in der besser informierten deutschen Presse während der Neunziger Jahre viel Gegenteiliges zu hören war). Nur hätte man sich eben auch einige Worte über die historischen Konstruktionen gewünscht, mit denen kroatische und serbische Nationalisten im 19. Jahrhundert Kontinuität mit seit mehreren Jahrhunderten von den Landkarten und aus der sozialen Realität verschwundenen feudalen Königreichen hergestellt haben. Wer wie Bremer den Begriff einer „Wiedergeburt der kroatischen Nation“ nahezu kritiklos übernimmt und für Serbien dem Mythos historisch ungebrochener Kontinuität sogar vollständig aufzusitzen scheint, wird bei einem durch den deutschen Nationsbegriff geprägten Publikum entgegen aller besseren Absicht am Ende dann eben doch den Eindruck erzeugen, Kroaten und Serben seien „echte“, durch Blut und Sprache zusammengehaltene Nationen (jedenfalls echter als die Muslime) und hätten entsprechend auch mehr Rechte auf einen eigenen, möglichst national homogenen Staat.

 

Hier stößt dann auch der Versuch, die „Geschichte der Religionen in Jugoslawien“ vor allem als Geschichte der Religionsgemeinschaften (und, soweit die christlichen Denominationen behandelt werden, über lange Strecken als Kirchen- oder Klerikergeschichte) zu erzählen, an seine notwendigen und letztlich für das Thema zu eng gesteckten Grenzen. Ohne eine weitergehende, anthropologische und religionssoziologische Analyse, die Religion zumindest auch als System von Zeichen und Deutungen, als Matrix gesellschaftlicher Organisation, individueller Identitätsbildung und Quelle ideologischer Mythen (siehe Kosovo) betrachtet, kann eben nicht hinreichend verstanden werden, wie es interessierten Gruppen gelingen konnte, Nachbarn nahezu über Nacht zu Feinden zu machen und warum alle Versuche der religiösen Hierarchien, dem (in sich durchaus rationalen) national-religiösen Irrsinn Einhalt zu gebieten, scheiterten und scheitern mussten.

 

Und hier ist dann auch der Punkt erreicht, wo sich die redlichen und guten Absichten des Autors erschöpfen und der Text beginnt, ins Apologetische abzurutschen. Sicher ist hier nicht der Ort, einmal mehr zu diskutieren, ob die unbestrittenen Verdienste Kardinal Stepinacs bei der Rettung von Serben, Juden und Roma vor dem Terror des Ustaša-Regimes seine anfänglich euphorische Parteinahme für den „Unabhängigen Staat Kroatien“ wettmachen, oder die durchaus aktive Rolle katholischer Priester bei der Zwangstaufe von Orthodoxen aufwiegen. Doch die Darstellung der Behandlung Stepinacs durch das Tito-Regime nimmt letztlich derart viel Raum ein, dass der Leser am Ende eine Art katholischen Nelson Mandela vor seinem inneren Auge erblickt und schnell vergisst, wie gerne der Kardinal (wie eben auch sein Oberhirte in Rom) den kommunistisch-orthodoxen Teufel mit dem faschistischen Beelzebub ausgetrieben hätte, wäre der letztere denn nur ein wenig zivilisierter vorgegangen. Gerne hätte man schließlich auch einige Worte über das wenig rühmliche Verhalten der Franziskaner in der Herzegowina während des letzten Krieges gehört.

 

Wo Bremer den kroatischen Katholiken bei der Behandlung des Zweiten Weltkrieges Kritik – wenn auch verhaltene – durchaus nicht erspart, zeigt dann die Behandlung der Kriege der Neunziger Jahre alle Anzeichen einer falsch verstandener Ökumene, die vor allem darauf bedacht zu sein scheint, dem jeweils anderen so wenig wie nur irgend möglich weh zu tun. So erfährt der Leser viel über ökumenische Zusammenkünfte und Anti-Kriegsappelle (wobei der Autor allerdings die Frage nach der Ehrlichkeit solcher vor allem für ein ausländisches Publikum geäußerten Stellungnahmen selbst in den Raum stellt), aber entschieden zu wenig über die ruhmlose Rolle, die die serbische Orthodoxie als williger Diener und Einpeitscher des Milošević-Nationalismus gespielt hat. Stattdessen wird hervorgehoben, wie der Bischof von Prizren (von dem Bremer beschönigend meint, er habe vorher eher als „Falke“ gegolten) sich Ende der 90er Jahre gegen die Kosovo-Politik Miloševićs gewandt habe, ohne auch nur die Frage zu stellen, ob es sich da vielleicht auch um pure Realpolitik gehandelt haben könnte.

 

Thomas Bremers „Kleine Geschichte der Religionen in Jugoslawien“ nimmt einen historisch zu kurzen Anlauf, teilt die Schritte dieses Anlaufs ungünstig ein und springt, mit dem schweren Ballast falscher Rücksichtnahme im Gepäck, folgerichtig zu kurz. Am Ende geht es dann wohl doch vor allem um den Nachweis, dass „die Religionsgemeinschaften im früheren Jugoslawien nicht für den Krieg verantwortlich gemacht werden können (…) Die Glaubensgemeinschaften sind vielfach instrumentalisiert worden und hatten dieser Instrumentalisierung nichts entgegenzusetzen.“

 

Wer das gigantische Kreuz auf dem Berg Hum über der noch immer entlang ethnisch-religiöser Linien gespaltenen Stadt Mostar gesehen und die Rhetorik gehört hat, von der seine Aufstellung vor drei Jahren begleitet wurde, wird schnell begreifen, dass es mit solchen Feststellungen nicht getan ist.

 

Heiko Wimmen

 

e-mail: hwbeirut@web.de

Redaktion Heiko Hänsel haenselh@zedat.fu-berlin.de

Zur Website des Friedrich-Meinicke-Instituts
Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften
Zur Website des Netzwerks Area Histories
Zur Mediothek des Osteuropainstituts