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Rezension 45

 

Rezension 45 vom 21.11.2006

Klaus Buchenau: Kämpfende Kirchen. Jugoslawiens religiöse Hypothek (= Erfurter Studien zur Kulturgeschichte des Orthodoxen Christentums, Bd. 2). Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2006; 252 S.; ISBN 3-631-53645-3, Euro 45,50.-

 

Mit Klaus Buchenaus neuem Buch hat die Literatur über die Kirchen im ehemaligen Jugoslawien in deutscher Sprache einen weiteren wertvollen Beitrag erhalten. Dank einiger Immigranten und vor allem einer kleinen Gruppe enthusiastischer deutscher Wissenschaftler(1), zu denen auch der Autor des rezensierten Buches zählt, entsteht langsam auf Deutsch nicht nur ein klares historisches Bild der größten religiösen Gemeinschaften des ehemaligen Jugoslawien, sondern auch eine fundierte und kritische Bewertung ihrer Rolle bei den gesellschaftlichen Änderungen der letzen zwei Jahrhunderte als Identität prägende und sozial wichtige Institutionen, was vielen Beobachtern erst beim blutigen Auseinanderbrechen des Mehrvölkerstaates in den neunziger Jahren bewusst geworden ist. Obwohl sich nur wenige Religionswissenschaftler und Historiker in Deutschland diesem Thema und dieser Region widmen, bieten diese durch ihre Unbefangenheit und größeren Forschungsmöglichkeiten eine umfassendere, Zeit und Raum stärker übergreifende Darstellung an als die meisten Studien in den lokalen Sprachen des ehemaligen Jugoslawien. Oft übertreffen diese sogar die einflussreichsten Forschungen über das ehemalige Jugoslawien, die auf englischer Sprache erschienen. Ein weiteres Merkmal dieser Forschungstendenz in Deutschland ist, dass sie über die übliche Identifizierung von Religion und Nation bei den Balkanvölkern als Erklärungsmuster jedes möglichen historischen Phänomens oder Ereignisses hinausgeht bzw. ihre Bedeutung reflektiert, historische Ursachen untersucht und mögliche Auswege aus diesem konstruierten Fatum hervorbringt. Der beste Vertreter dieser Forschungstendenz ist Klaus Buchenau mit seiner Dissertation.(2)

Im neuen Buch Buchenaus geht es auch um die Beziehung zwischen den großen christlichen Kirchen Jugoslawiens – der Serbisch-Orthodoxen Kirche und der Katholischen Kirche unter den Kroaten – und dem Nationalismus. In sechs Aufsätzen verfolgt Buchenau die Entwicklung des religiösen Nationalismus bei den Serben und Kroaten von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Dabei kommt er auf Themen zu sprechen, die bislang weniger beachtet worden sind, wie zum Beispiel den russischen Einfluss auf die serbische Orthodoxie und die Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und der kroatischen Diaspora, oder die immer noch umstrittene Haltung des Katholizismus zum Jugoslawismus. Des weiteren behandelt es das Verständnis des Nationalen und des Universalen in der serbischen Orthodoxie, das Verhältnis Kirche-Staat im sozialistischen Jugoslawien und schließlich die Rolle der Serbisch-Orthodoxen Kirche im Kosovokonflikt.

Die einzelnen Kapitel des Buches, die zumeist bereits in den letzten Jahren in Sammelbänden veröffentlicht worden sind, beleuchten wesentliche Aspekte des Zusammenhangs von Religion und Nation des ehemaligen Jugoslawien. Der Beitrag über den russischen Einfluss basiert auf Archivmaterialien und bestätigt die bisherigen allgemeinen Annahmen, zeigt aber auch die Vielfältigkeit und Komplexität des russischen Einflusses, der nicht auf Russophilie reduziert werden kann. In dem Beitrag über die Katholische Kirche in der Diaspora zeigt der Autor wie sehr die von Jugoslawien gestellten Auslandsseelsorger ihre Arbeit als nationale auffassten und entscheidend für den Erhalt oder die Verstärkung der eigenen nationalen Identität wirkten. Dies war natürlich nur aufgrund der starken Bindung von Katholizismus und Kroatentum möglich, welche in der Zwischenkriegszeit entstanden war und während sowie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zementiert wurde. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat weist Buchenau systematisch auf die Verantwortlichkeit des jugoslawischen sozialistischen Staates für die Politisierung der Kirchen und die Ausweitung des so genannten religiösen Nationalismus bei Serben und Kroaten hin. Nichtsdestotrotz wäre für eine genauere Bewertung der gesellschaftlichen Dimensionen der staatlichen Religionspolitik eine Untersuchung der scheinbar entscheidenden Rolle der Eliten in einer durchaus säkularisierten Gesellschaft, insbesondere was Serbien anging, empfehlenswert.

Leider erklärt der Autor nur gelegentlich seine terminologischen, methodischen und theoretischen Ausgangspunkte, wie zum Beispiel die unterschiedlichen Auffassungen von Kirche unter den Orthodoxen, die im Aufsatz über die Rolle der Serbisch-Orthodoxen Kirche im Kosovokonflikt thematisiert werden. Dabei werden wichtige Begriffe wie der religiöse Nationalismus als selbstverständlich vorausgesetzt. Kurze theoretische Ansätze und historische Erklärungen gibt es nur in enger Verbindung mit den Themen der einzelnen Artikel, wie es bei Beiträgen in Sammelbänden üblich ist. Die Beiträge wirken somit als eine Erweiterung oder als Appendix für seine Dissertation, die eine umfangreiche theoretische und historische Einführung beinhaltet, die in dieser Ausgabe fehlt, was für Laien unter den Lesern eventuell eine Schwierigkeit darstellen könnte. Diesen Mangel hat aber nicht der Autor zu verantworten, sondern er ist vielmehr der Form der Ausgabe als Artikelsammlung geschuldet.

Das vielleicht Wertvollste an dem Buch sind die zwei letzten Aufsätze, die das gegenwärtige Verhältnis der meist angesehenen Kleriker und Theologen in Serbien und Osteuropa zur Globalisierung und den Menschenrechten konzis und kritisch beleuchten und damit dem Buch auch eine Zukunfts- und Politikorientierung verleihen. Buchenau weist auf die Stärkung der rechtsextremen und nationalistischen Kräfte hin, die in Zusammenarbeit mit der Kirche ein großes Hindernis auf dem Weg zur Europäischen Integration und für die Demokratisierung der serbischen bzw. anderer osteuropäischer Gesellschaften darstellt.(3) Seitdem Buchenau diese Aufsätze verfasst hat, haben sich die Positionen einiger in seinem Buch oft zitierten Akteure wesentlich geändert. Die Involvierung der Kleriker ist inzwischen noch stärker geworden, besonders was den Kosovokonflikt betrifft. Dies soll natürlich nicht als Kritik an Buchenaus Buch gelten, sondern vielmehr als Plädoyer für seine weitere Beschäftigung mit der spannenden Frage des Verhältnisses von religiösen Institutionen und Gläubigen im ehemaligen Jugoslawien zum Nationalismus, die im Zusammenhang mit globalen Entwicklungen immer mehr an Gewicht bekommt.

 

Rezensiert von Bojan Aleksov (aleksov@policy.hu)

 

(1) Dazu gehören u.a. Thomas Bremer, Peter Vrankić, Kathrin Boeckh, Srećko Džaja und Emanuel Turczynski(†).

(2) Klaus Buchenau: Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945–1991. Ein serbisch-kroatischer Vergleich (= Balkanologische Veröffentlichungen, Band 40). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2004.

(3) Unter den vielen nationalistischen Vereinen in Serbien konnte sich seit 1999 als wichtigster der „Dveri srpske“ („Serbische Tore“) etablieren, der gleichzeitig der Kirche am nahesten steht.

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