Rezension 1
Rezension Nummer 1 vom 16.11.2003
Dejan Djokić (Hrsg.): Yugoslavism – Histories of a Failed Idea 1918-1992. London: Hurst & Company 2003, 356 S., ISBN 1-85065-662-2 (Hardcover), 1-85065-663-0 (Paperback), ca. 55,00 $ bzw. ca. 25,00 $
Rezensiert von: Tatjana Meijvogel-Volk (Apeldoorn, Niederlande)
Seit der Desintegration Jugoslawiens und den blutigen Folgekriegen ist viel über den Jugoslawismus geschrieben worden. Die Intention des vorliegenden Buches ist nun die Geschichte der jugoslawischen Idee von der Gründung des ersten jugoslawischen Staates bis zu seinem Ende in den 90er Jahren zu untersuchen. In 21 Beiträgen versuchen bekannte und weniger bekannte Wissenschaftler, Publizisten und Politiker – sowohl aus dem ehemaligen Jugoslawien als auch aus dem Westen – der Beantwortung der Frage, näher zu kommen, was Jugoslawismus eigentlich war bzw. hätte sein sollen.
So unterschiedlich wie die Autoren sind auch ihre Beiträge zum Thema. Das Hauptanliegen des Herausgebers Dejan Djokić (Dozent am Birkbeck College der Universität London) ist es, aufzuzeigen, daß die jugoslawische Idee von den Anfängen – noch vor der Gründung des ersten jugoslawischen Staates im Jahre 1918 – bis in die 90er Jahre hinein ein ”fließendes Konzept” war, ”welches die verschiedenen jugoslawischen Nationen, Führer und sozialen Gruppen zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich interpretierten.”
Im ersten/historischen Teil des Buches wird deutlich, wieviele unterschiedliche Konzepte der jugoslawischen Idee bereits vor der Gründung des jugoslawischen Staates im Jahre 1918 existierten. Die unklaren Verhältnisse rund um die überstürzte Staatsgründung am Ende des Ersten Weltkrieges werden ebenso behandelt, wie die Frage nach den – bei der Bildung des jugoslawischen Staates beteiligten – internationalen Akteuren und ihren Interessen.
Den einzelnen jugoslawischen Nationen und der jeweils spezifischen Entwicklung ihres Verhältnisses zu Jugoslawien und der ”jugoslawischen Idee” widmet sich das Kapitel ”Nationen” ausführlich. Bei der Analyse der verschiedenen nationalen Überzeugungen zum Thema Jugoslawien trifft der Leser zwar auf viele bekannte Urteile und Vorurteile, dennoch haben die Autoren auch Unerwartetes und Neues zu bieten, wie z.B. der Slowene Mitija Velikonija, wenn er seiner Überzeugung Ausdruck verleiht, daß es eben gerade Jugoslawien gewesen sei, das eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der modernen slowenischen Identität gespielt habe.
Die Herangehensweise von einigen Autoren an das Thema ist eher unorthodox. Das wird besonders deutlich bei Beiträgen wie von Dejan Djokić, der den ”Jugoslawismus” König Aleksandars und anderer Politiker aus der Zeit des Ersten Jugoslawien zu ergründen sucht, oder dem von Dejan Jović, der die zwei verschiedenen Jugoslawismuskonzeptionen von Josip Broz Tito und seinem Chefideologen Edvard Kardelj vorstellt.
Der Beziehung der Armee im königlichen Jugoslawien zum Jugoslawismus wird ebenso nachgegangen, wie den Visionen bedeutender Jugoslawen (Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić und der Bildhauer Ivan Meštrović) oder aber den Überzeugungen jugoslawischer Intellektueller in den späten 80er und frühen 90er Jahren.
Auch Alternativen zum seinerzeit existierenden sozialistischen Jugoslawien kommen zum Zuge: so erhält Desmir Tošić die Gelegenheit die ”Demokratische Alternative”, deren Mitbegründer er war, vorzustellen. Es handelte sich um einen Kreis von jugoslawischen Emigranten verschiedener Nationalität, der 1963 in England gegründet wurde. Diese von der westlichen Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Gruppe ehemaliger jugoslawischer Politiker und Intelektueller entwickelte bereits in den 70er Jahren alternative Konzepte zum bestehenden sozialistischen Jugoslawien.
Eine Alternative anderer Art stellt die vom emiritierten Zagreber Wirtschaftsprofessor Branko Horvat vorgestellte ”Vereinigte Jugoslawische Demokratische Initiative” (UJDI) dar, ein loser Zusammenschluß von Intellektuellen vor allem aus Zagreb und Belgrad, die sich 1989 mit dem Anspruch gründete, auf Strukturfehler des jugoslawischen Staates, die eine aktuelle Problemlösung unmöglicht werden ließen, aufmerksam zu machen.
Ganz anders, als diese eher theoretischen Ansätze, liest sich dann der Beitrag des ehemalige Politikers und Diplomaten Ramadan Marmullaku. Er schildert die Realität im Kosovo zur Zeit des sozialistischen Jugoslawien aus seiner ganz persönlichen Erfahrungsperspektive und macht so deutlich, daß der serbisch-albanische Konflikt nicht etwa erst Anfang der 80er Jahre mit der Diskussion um die Abwanderung von Serben aus der Provinz zum Ausbruch kam.
Die von Aleksa Djilas am Ende anstatt eines Epilogs geschriebene ”Grabrede für Jugoslawien” stellt die Verbindung zur Gegenwart wieder her. Nicht ohne bissige Ironie, wendet er sich (als Serbe!) in seinem ”imaginären Dialog” an Freunde im Westen. Er zeigt die Zerrissenheit auf, mit der so viele Menschen heute im ehemaligen Jugoslawien beim Gedanken an ihre frühere Heimat zu kämpfen haben; und er ist überzeugt, daß er nicht alleine steht, wenn er um Jugoslawien trauert: ”nicht nur um das, was es war, sondern um das, was es (angesichts der aktuellen europäischen Integration, Anmerkung der Rezensentin) hätte sein können.”
Mit der Verschiedenartigkeit seiner Beiträge gelingt es dem Buch, die Vielschichtigkeit der jugoslawischen Idee herauszuarbeiten. Obwohl sich alle Autoren um Distanz und Objektivität bemühen, ist doch fast allen Beiträgen anzumerken, aus welchem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ihr Autor stammt bzw. mit wem er sympathisiert. Eine Tatsache, auf die der Herausgeber bereits in seinem Vorwort hinweist, die aber dem Werk in seiner Gesamtheit nicht schadet, im Gegenteil: macht sie doch deutlich wie unterschiedlich und teilweise auch unvereinbar miteinander die verschiedenen Konzepte des Jugoslawismus waren.
Den einzigen Mangel, den diese reichhaltige Sammlung hat, ist das Schwergewicht, einerseits auf dem Ersten Jugoslawien und andererseits auf den 80/90er Jahren. Die Frage nach den existierenden Konzepten der jugoslawischen Idee innerhalb des sozialistischen Jugoslawien bleibt leider mehr oder minder unbeantwortet. Sie würde die Lektüre des vorliegenden Buches noch bereichern.
Tatjana Meijvogel-Volk
e-mail: janmeijvogel@hetnet.nl
Inhaltsverzeichnis des besprochenen Bandes:
Dejan Djokić
Introduction: Yugoslavism: Histories, Myths, Concepts 1
Part I. CONTEXT
Dennison Rusinow
The Yugoslav Idea before Yugoslavia 11
Kosta St. Pavlowitch
The First World War and the Unification of Yugoslavia 27
Andrej Mitrović
The Yugoslav Question, the First World War and the Peace
Conference, 1914-1920 42
Part II. NATIONS
Stevan K. Pavlowitch
Serbia, Montenegro and Yugoslavia 57
Tihomir Cipek
The Croats and Yugoslavism 71
Mitija Velikonja
Slovenia’s Yugoslav Century 84
Xavier Bougarel
Bosnian Muslims and the Yugoslav Idea 100
Hugh Poulton
Macedonians and Albanians as Yugoslavs 115
Part III. LEADERS AND INSTITUTIONS
Dejan Djokić
(Dis)integrating Yugoslavia: King Alexander and
Interwar Yugoslavism 136
Dejan Jović
Yugoslavism and Yugoslav Communism:
From Tito to Kardelj 157
John R. Lampe
The Two Yugoslavias as Economic Unions:
Promise and Problems 182
Radmila Radić
Religion in a Multinational State: the Case of Yugoslavia 196
Mile Bjelajac
The Military and Yugoslav Unity 208
Part IV. INTELLECTUALS
Ljubinka Trgovčević
South Slav Intellectuals and the Creation of Yugoslavia 222
Andrew B. Wachtel
Ivan Meštrović, Ivo Andrić and the Synthetic Yugoslav
Culture of the Interwar Period 238
Aleksandar Pavković
Yugoslavism’s Last Stand: a Utopia of Serb Intellectuals 252
Jasna Dragović-Soso
Intellectuals and the Collapse of Yugoslavia:
The End of the Yugoslav Writers’ Union 268
Part V. ALTERNATIVES
Desimir Tošić
The Democratic Alternative 286
Branko Horvat
The Association for Yugoslav Democratic Initiative 298
Ramadan Marmullaku
Albanians in Yugoslavia: a Personal Essay 304
Aleksa Djilas
Funeral Oration for Yugoslavia:
An Imaginary Dialogue with Western Friends 317
Notes on Contributors 334
Index 339
Redaktion Heiko Hänsel haenselh@zedat.fu-berlin.de